GUT GEMEINT ABER FALSCH GEHANDELT

Amtsgericht Hattingen (Foto: Höffken)

Hattingen – Die drei Richter:innen des Hattinger Schöffengerichtes sprachen heute (16. Februar 2022) einen 60-jährigen Sprockhöveler vom Vorwurf der räuberischen Erpressung frei.

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Sie folgten damit nicht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die für dieses „riesige Missverständnis“ für den bereits vorbestraften Angeklagten eine 6-monatige Bewährungsstrafe und ein zweimonatiges Fahrverbot beantragt hatte.

Die Hauptverhandlung aus Sicht des Angeklagten:

Anfang August 2021 räumte er an einem Freitag seine Garage in Sprockhövel auf, will dann 8 alte Autoreifen in seinen Kleinwagen eingeladen und zu einem Reifenhändler in Sprockhövel gebracht haben. Dort, die Werkstatt war bereits geschlossen, legte er seine „alten Reifen“ vor der Werkstatt des Autohändlers ab, nach seiner Einlassung seit Jahren absprachegemäß. Am nächsten Tag, einem Samstag entschied er sich um und wollte gegen 19 Uhr vier seiner dort abgelegten alten Autoreifen doch wieder abholen.

Beim Einladen seiner Reifen vor der Reifenwerkstatt wurde er von einem Nachbarn angesprochen, was er dort mache. Es kam zu einem Wortwechsel und als der Angeklagte mit seinem Kleinwagen einfach wegfahren wollte, stellte sich ihm der Nachbar in den Weg, blockierte dessen Abfahrt, wurde dann von dem wegrollenden Kleinwagen touchiert, rollte sich über die Motorhaube ab, stürzte und verletzte sich.

„Der verletzte Nachbar ist ein außenstehender Dritter, hat auf dem Grundstück des Reifenhändlers gar nichts zu regeln und hat sich Befugnisse angeeignet, die ihm nicht zustehen. Da der Nachbar das Kennzeichen bereits notiert hatte, hätte er nur die Polizei darüber informieren können, die dann alle weiteren Ermittlungen durchgeführt hätte. Daher ist mein Mandant freizusprechen“, sagte der Strafverteidiger des Angeklagten.

Das Geschehen aus Sicht des Reifenhändlers:

Der Angeklagte ist Kunde bei mir und es kann sein, dass ich ihm vor Jahren erlaubt habe, seine Altreifen auf den Altreifenstapel vor meiner Werkstatt abzulegen. Dort liegen schon mal Altreifen, die dann ab und zu von einem von mir beauftragten Entsorger abgeholt werden. Dafür muss ich natürlich pro Reifen je nach Größe zwischen 1,50 und 2,00 Euro bezahlen. Mein Nachbar erzählte mir dann später, dass er angefahren worden sein will. Dass dabei auch Reifen abgeholt worden seien, interessierte mich nicht so sehr.

Die Hauptverhandlung aus Sicht des Nachbarn:

„Ich arbeitete an diesem Samstag gegen 19 Uhr in meiner Garage an meinem Motorrad und sah plötzlich, dass der Angeklagte Reifen vom Hof der benachbarten Reifenwerkstatt in seinen Kleinwagen einlud. Ich sprach ihn an und sagte, das sind nicht deine Reifen, ich rufe die Polizei. Bereits am Vortag war mir der Angeklagte mit seinem Kleinwagen dort aufgefallen und ich hatte ein Foto von dem Fahrzeug gemacht und mir das Kennzeichen notiert. Als ich mich vor das Fahrzeug stellte um das Wegfahren zu verhindern, rollte der Wagen auf mich zu und ich stürzte letztendlich zu Boden und verletzte mich am Knie. Meine Frau rief dann die Polizei, als der Kleinwagen einfach wegfuhr.

Die Staatsanwältin

„Die Einlassung des Angeklagten ist nicht zu widerlegen, es ist nach der Beweisaufnahme kein räuberischer Diebstahl mehr feststellbar“, sagte die Staatsanwältin. Nach Bewertung eines möglichen „Notwehr-Verhaltens“ des Angeklagten sah die Staatsanwältin allerdings eine Bedrohung gegen diesen nicht gegeben und ergänzte, „der Angeklagte hätte in jedem Fall auf die Polizei warten müssen, um sich nicht selbst der Nötigung und eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig zu machen“. Für den nach ihrer Ansicht erfüllten Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung plädierte sie für die Verhängung einer 6-monatigen Bewährungsstrafe und für ein zweimonatiges Fahrverbot gegen den 60-jährigen bereits vorbestraften Sprockhöveler.

Das Urteil

Der Vorsitzende Richter Kimmeskamp verkündete dann das Urteil des Schöffengerichtes und sprach den Angeklagten auf Kosten der Landeskasse frei. In seiner Urteilsbegründung zeigte der Richter auf, dass es kein Vermögensstraftatbestand war, seine eigenen Reifen wieder abzuholen, billigte eine gewisse Notwehrlage dem Angeklagten zu und urteilte, dass ein Widerstand durch den später verletzten Nachbarn nicht zulässig war und dieser daraus sein eigenes Risiko zu tragen hätte. Da der Nachbar ein Foto des Kleinwagens erstellt und das Kennzeichen bereits notiert hatte, hätte dieser einfach die Polizei rufen können.