RADELN AUF DER WERKSTRASSE? FIRMEN DREHEN AM „RAD“

Baudezernet Jens Hendrix stellt das Radfahrkonzept in der Werksstraße vor (Foto: Pielorz)

Hattingen – Der Zustand der Werksstraße war jahrelang eine städtebauliche Katastrophe. Doch nachdem zunächst nur kleinere Sanierungen geplant und die vollständige Erneuerung um weitere Jahre verschoben werden sollte, tat sich plötzlich etwas. Im Mai 2020 wurde einstimmig eine Fahrbahnertüchtigung der Werksstraße vom Kreisverkehr bis zur Tennisanlage beschlossen und mittlerweile auch umgesetzt. Die soll erstmal ein paar Jahre dem Brummiverkehr trotzen, bevor der Ausbau „Am Büchsenschütz“ die Kernsanierung auf den Weg bringt. Doch jetzt droht für die ortsansässigen Firmen neues Ungemach, hat doch der Bauausschuss mit knapper rot-grüner Mehrheit beidseitige Radverkehrsanlagen beschlossen. Konsequenz: Parken sowie Be- und Entladen der Fahrzeuge im Gewerbegebiet sind kaum noch möglich. Die Anlieger der Werksstraße trafen sich jetzt vor Ort mit Verwaltung und Bürgermeister Dirk Glaser, um den Beschluss doch noch zu kippen. 

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Filmbeitrag / Interviews RuhrkanalNEWS

Fahrradfreundliche Städte haben derzeit Hochkonjunktur. Der Gedanke, wo überall der Drahtesel zum Einsatz kommen darf, macht auch vor Gewerbegebieten nicht halt. Schon 2017 hatten Verwaltung und Anlieger Gespräche geführt, um den schlechten baulichen Zustand der Werksstraße zu verbessern. Damals war allerdings von einem Radfahrkonzept keine Rede. Als Baudezernent Jens Hendrix die Planungen im Mai 2020 in den Ausschuss brachte und die Deckenschichterneuerung für 100.000 Euro ankündigte, war es die Politik, die im Zuge der vorläufigen Sanierung ein Radfahrkonzept integrieren wollte. Die Verwaltung erarbeitete daraufhin zwei Varianten unter Berücksichtigung von Begegnungsverkehr von zwei LKWs sowie LKW und Pkw. Die Begegnung von zwei Lkw erfordert nach den „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt 06) eine Verkehrsraumbreite von mindestens 5,90 Metern bei eingeschränktem Bewegungsspielraum und verringerter Geschwindigkeit. Für die Begegnung von Lkw und Pkw sind Breiten von mindestens fünf Metern erforderlich. Damit man sich das vorstellen kann: Die Fahrbahnbreite im Gewerbe- und Landschaftspark Henrichshütte beträgt in der Regel 6,50 Meter.  

Anwohner, Firmen und Stadtspitze trafen sich vor Ort in der Werkstraße (Foto: Pielorz)

Grundsätzlich kann in dem Gewerbegebiet natürlich auch ohne Radmaßnahmen ein Drahtesel unterwegs sein. Nur eben nicht so sicher und damit auch nicht im Einklang mit dem Ausbau Hattingens zur fahrradfreundlichen Stadt. Damit ein Drahtesel in der Werksstraße sicher unterwegs sein kann, muss es Schutzstreifen, Sicherheitsstreifen und vor allem Markierungen geben. Schutzstreifen für den Radverkehr sind mindestens 1,25 breit. Hinzu kommen seitliche Sicherheitsabstände zu anderen Verkehrsarten. Radfahrstreifen haben eine Breite von 1,85 Metern. Radfahrstreifen dürfen von Autos nicht mitbenutzt werden. Schutzstreifen hingegen dürfen im Begegnungsfall überfahren werden. Während die Verwaltung für eine Kompromisslösung eines einseitigen Radfahrkonzeptes warb, sprach sich der Ausschuss für die beidseitige Radverkehrsanlage aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Politik sich für diese Lösung entscheidet“, sagt Jens Hendrix beim vor-Ort-Termin mit den Anliegern. „Grundsätzlich hat die Politik aber die Möglichkeit, die Entscheidung im Fachausschuss noch in den Rat zu ziehen und dort erneut und dann vielleicht anders abzustimmen. Der nächste Rat kommt am 8. Oktober zusammen“, so Hendrix. Und genau darauf läuft es hinaus. CDU-Chef Gerhard Nörenberg erklärt: „Wir haben hier ein Gewerbegebiet. Hier verdient der Mittelstand sein Geld. Ich fahre auch Fahrrad und finde grundsätzlich den Ausbau Hattingens zur fahrradfreundlichen Stadt gut. Aber nicht in einem Gewerbegebiet mit Bestandsschutz. Die CDU wird einen Antrag stellen und das Thema im Rat erneut diskutieren und abstimmen lassen.“ Die FDP, so Nörenberg, wisse er dabei an seiner Seite. Der Stadtrat hat 48 Sitze, die Mehrheit liegt also bei 25 Sitzen. SPD und Grüne verfügen über 27 Sitze. Die CDU kommt mit der FDP auf 18 Sitze. Drei Sitze hat „Die Partei“. In der Vergangenheit gibt es allerdings auch Beispiele einer inhaltlichen Zusammenarbeit zwischen den Grünen (11 Sitze) und der CDU (15 Sitze). Mit der FDP wäre mit „Jamaika“ eine noch größere Mehrheit denkbar. Am 8. Oktober wäre auch ein Antrag auf namentliche oder geheime Abstimmung möglich. Das kann spannend werden. Die Anlieger der Werksstraße sind erstmal froh, dass es noch eine Chance gibt, das Thema zu drehen. Und zwar in ihrem Sinn. Denn die Unternehmer haben genug zu tun und wollen nicht am Rad drehen. „Mit einem beidseitigen Radverkehrskonzept können wir uns überhaupt nicht anfreunden. Es ist schlicht nicht alltagstauglich, denn Parken sowie Be- und Entladen passieren hier nun einmal mehrfach am Tag. Und das muss die Politik doch zur Kenntnis nehmen.“

Der Kommentar von Barteczko/Pielorz:

Radfahren hat Konjunktur. Stimmt. Radfahren ist gesund und entlastet die Umwelt. Stimmt. Aber, wer zum Teufel kommt auf die Idee, sich in einem Gewerbegebiet auf den Drahtesel zu schwingen? Der beliebte Tagestourist dürfte ausfallen. Es ist schwer vorstellbar, dass Hattingen Marketing die zahlreichen Anfragen von Radtouristikern in Zukunft mit dem Hinweis auf einen Geheimtipp durch das Gewerbegebiet an der Werksstraße beantwortet. Wer bei einer der ortsansässigen Firmen seinen Arbeitsplatz hat, kann möglicherweise mit dem Radl zur Arbeit kommen. Das kann er aber auch heute schon. Ein Unfallschwerpunkt scheint die Werksstraße jedenfalls in der Statistik nicht zu sein. Hattingen soll attraktiver für Radfahrer werden. Prima Idee – aber in einem Gewerbegebiet?? Werden wir uns in Zukunft auch auf eine neue Wanderkarte freuen dürfen, die – auf Schusters Rappen – die Werksstraße als Musterbeispiel industrieller Hochkultur preist? Von Nord nach Süd durch Hattingen, kreuz und quer durch die Südstadt oder von Welper in die Innenstadt mit dem Fahrrad – alles gut, kann man alles machen und vieles macht auch Sinn. Aber eben nicht alles. Mit dem Radl durch schöne Landschaften geht ja auch irgendwie anders. Man tut gut daran, nochmal neu nachzudenken – braucht es wirklich Radverkehrskonzepte und das noch beidseitig auf einer Industriestraße im Gewerbegebiet? 

3 Kommentare zu "RADELN AUF DER WERKSTRASSE? FIRMEN DREHEN AM „RAD“"

  1. Gilbert Gratzel | 22. September 2020 um 20:34 |

    Was für ein Schwachsinn. Falls das Thema am 8. Oktober auf der Tagesordnung der Ratssitzung stehen sollte – Tagesordnung gibt es noch nicht – tagt noch der „alte“ Rat. Die neue Ratsperiode mit anderen Fraktionsstärken beginnt erst am 1. November. Ein bisschen Sach- und Fachkunde wäre auch für die Schreiberlinge von Ruhrkanal.tv hilfreich. Mein Gott – darf heute jeder alles schreiben? Peinlich!

  2. Barteczko/Strohdiek | 23. September 2020 um 9:01 |

    Herr Gratzel,
    wir kommentieren derartige Zuschriften eigentlich nicht, aber da sie auf korrekte Darstellung achten: Sie kommentieren hier bei Ruhrkanal.NEWS, ruhrkanal.tv ist ein anderes Unternehmen und eine andere Plattform.
    Vielen Dank.

  3. Dr. Anja Pielorz | 23. September 2020 um 10:57 |

    Stimmt. Mein Fehler. Am 8. Oktober tagt in Hattingen noch der alte Rat. In Sprockhövel gibt es keine Ratssitzung mit dem alten Rat mehr. In Hattingen hat der alte Rat 46 Sitze und rot-grün kommt mit 19 plus 6 auf 25 Sitze. Die CDU käme mit der FDP und den Grünen auf 23 Sitze. Ändert am Thema aber nichts. Und wenn jetzt noch die Kommentare – wo auch immer – sachlich blieben und nicht persönlich würden…

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