DEM STERBEN WÜRDE GEBEN

Blick ins Publikum beim ersten Charta-Treffen.(Foto: Pielorz)

Hattingen- Der Tod gehört zum Leben. Das Sterben hat allerdings oft mit Würde nicht viel gemeinsam. Das soll sich ändern durch die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen. Sie begann 2007 als internationale Initiative. Ziel der Charta ist es, Sterben, Tod und Trauer als Teil des Lebens zu begreifen und allen Menschen in Deutschland – und international – nach ihren individuellen Bedürfnissen den Zugang zu einer würdevollen Begleitung und Versorgung am Lebensende zu ermöglichen. In Deutschland haben bisher etwa 2700 Institutionen und rund 30.000 Einzelpersonen die Charta unterzeichnet. Jetzt sind auch Hattingen und Sprockhövel dabei. 

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Was sich staubtrocken liest, muss mit Leben gefüllt werden. Die Charta gibt fünf Leitsätze vor. So geht es bei den gesellschaftspolitischen Herausforderungen für ein Sterben unter würdigen Bedingungen darum, ein Recht zur Umsetzung für die Wünsche des Sterbenden zu schaffen. Zweitens geht es um die Anforderungen an die Versorgungsstrukturen. Dazu gehören die medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Begleitung. Hand in Hand sollen haupt- und ehrenamtlich Tätige ein palliatives Netzwerk schaffen. Drittens müssen die Menschen, die mit Sterbenden Umgang haben, eine regelmäßige Aus-, Weiter- und Fortbildung erfahren. Dazu gehört – viertens – die Weiterentwicklung interdisziplinärer Forschung und die Anwendung des Wissens in der Praxis. Fünftens soll die Charta internationale Anwendung finden. 

Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen unterstützen

Um diese Ziele zu erreichen, sind zahlreiche Institutionen eingebunden. Im Kern geht es um mögliche Gesetzesänderungen, bauliche Projekte wie zum Beispiel Hospize oder die Einbindung des Themas in viele schulische und außerschulische Bereiche – und dies auf allen Ebenen. Das wurde bei der Auftaktveranstaltung in Hattingen deutlich. Prof. Dr. med. Ulrich Kampa, 2. Vorsitzender des Ambulanten Hospizdienstes Witten-Hattingen e.V. und ehemaliger Leiter der Intensivstation am EvK Hattingen, sagt: „Wir müssen mehr Leben ins Sterben bringen. Die meisten Menschen sterben in einem Krankenhaus. Der Wunsch hingegen ist es, zuhause in vertrauter Umgebung mit vertrauten Menschen sterben zu dürfen.  Ein gutes Palliativnetzwerk kann so manchen Wunsch möglich machen. Ich wünsche mir, dass wir in einigen Jahren eine Palliativstation am Evangelischen Krankenhaus in Hattingen haben, es im Stadtgebiet oder in Sprockhövel ein Hospiz gibt und wir ein palliatives Netzwerk mit vielen Mitarbeitern haben. Den Tod gibt es kostenlos. Aber das Sterben sollten wir uns etwas kosten lassen.“

h6>Freuen sich über die Unterschriften zum Charta-Prozess: v.l. Tim Reinhold (freiberuflicher Dozent Weiterbildung Reinhold), Dorothe Zehntmeier (Geschäftsführerin Maxipflege GmbH), Sabine Noll (Bürgermeisterin Stadt Sprockhövel), Dirk Glaser (Bürgermeister Stadt Hattingen), David Wilde (Vorstandsvorsitzender hwg eG), Dr. med. Franz Krizanits (Geschäftsführender Arzt beim Palliativmedizinischen Dienst Ennepe-Ruhr-Kreis GmbH), Dirk Schefer (Leiter Koordination und Entwicklung Lebenshilfe Hattingen), Professor Dr. Ulrich Kampa (2. Vorsitzender Ambulanter Hospizdienst Witten-Hattingen e.V., ehemaliger Leiter Intensivstation Augusta EvK Hattingen). Stehend Corinna Weiss, Koordinatorenstelle für Hospiz-und Palliativversorgung in Deutschland. (Foto: Pielorz)

Bei der Auftaktveranstaltung vor Ort war auch Professor Dr. Andreas Tromm, Chefarzt der Inneren EvK Hattingen und zugleich Gründungsmitglied der Krebshilfe Sprockhövel/Hattingen, deren Vorsitzender Udo Andre Schäfer die Charta bereits für den gemeinnützigen Verein unterzeichnet hat. Perspektivisch unterstützt der neue Anästhesie- und Schmerz-Experte am EvK Hattingen, Dr. Ralf Claas, die Bestrebungen der Augusta-Kliniken, das EvK Hattingen zu einem „Zentrum für Alterstraumatologie“ zu machen. Eine Möglichkeit, in diesem Zusammenhang auch über Palliativbetten nachzudenken. In ihren Ausführungen machten die Bürgermeister deutlich, wie wichtig das Thema ist. Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, in der – wie Bürgermeisterin Sabine Noll formulierte – manche Menschen einsam im Krankenhaus verstarben.  Ein aufmerksamer Unterstützer ist auch David Wilde. Der Vorstandsvorsitzender der hwg ist bekannt für seinen Einsatz von besonderen Projekten, beispielsweise die Demenz-WG. Möglicherweise ergibt sich auch eine Perspektive für ein Hospiz. Laut VDEK (Verband der Ersatzkassen e.V.) gibt es in NRW derzeit 78 stationäre Hospize mit 770 Betten. Hinzu kommen die ambulanten Hospizdienste, die durch den Einsatz ehrenamtlicher Kräfte unterstützen. Schließlich gibt es in Krankenhäusern Palliativstationen, die allerdings das Ziel haben, den Zustand des Betroffenen zu stabilisieren, um ihn entlassen zu können. Ein zeitlich unbegrenzter Aufenthalt – wie etwa in einem Hospiz – ist hier nicht möglich. In Deutschland gibt es rund 1.500 ambulante Hospizdienste, ca. 250 stationäre Hospize für Erwachsene sowie 18 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ca. 340 Palliativstationen in Krankenhäusern, vier davon für Kinder- und Jugendliche (Stand 15.04.2021, Quellen DHPV und Deutscher Kinderhospizverein).

250 stationäre Erwachsenen-Hospize haben im Durchschnitt je ca. 10 Betten. Etwa 33.500 Menschen werden pro Jahr hier versorgt. In Deutschland sterben pro Jahr etwa eine Million Menschen. Der größte Teil totkranker Menschen – hier liegen die Schätzungen bei rund 500.000 Betroffenen jährlich – stirbt im Krankenhaus oder Pflegeheim, obwohl die meisten von ihnen laut Umfragen lieber im Hospiz oder zu Hause sterben würden. Mit Hilfe der Charta könnte sich diese Situation verbessern.