ANGEKLAGTER RASTET BEI URTEILS-BEGRÜNDUNG AUS – PROZESS: SCHÜSSE AUF WAZ-ZEITUNGSBOTEN

Der wegen versuchten Mordes Angeklagte (Mi.) neben seinen Verteidigern Rechtsanwalt Wandt und Rechtsanwalt Strüwe (li.) (Foto: Höffken)

Essen/Hattingen – Neun Verhandlungstage schwieg der Angeklagte im Kalaschnikow-Prozess. Bei der heutigen Verlesung der Urteilsbegründung rastete dann der Angeklagte plötzlich aus. Seine beiden Verteidiger schienen über die plötzlich üble Beleidigungsattacke ihres Mandanten gegenüber dem Vorsitzenden Richter des Schwurgerichtes auch überrascht.

13 Jahre und 9 Monate Gefängnis verkündet

Nach neun Verhandlungstagen verkündete vorher am heutigen Tage (23. Januar 2024) der Vorsitzende Richter der II. Großen als Schwurgericht eingesetzten Strafkammer beim Landgericht Essen das Urteil „Im Namen des Volkes“. Der 33-jährige Angeklagte wurde wegen versuchten Mordes, schwerer und gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde der Vorbehalt der Unterbringung des Angeklagten nach Verbüßung seiner Strafhaft in der Sicherungsverwahrung verkündet.

Bei der Verlesung der Urteilsbegründung kam es am heutigen Nachmittag dann zur Eskalation, als der Angeklagte den Vorsitzenden Richter über das Saalmikrofon massiv und anhaltend beleidigte, ständig unterbrach und von den beiden Justizwachtmeistern dann aus dem Saal gebracht wurde. Vorher hatte er noch eine Woche Ordnungshaft wegen Beleidigung der Strafkammer „kassiert“. Der Vorsitzende Richter Schmitt blieb bei der ganzen verbalen Beleidigungsattacke des Angeklagten auf ihn erstaunlich gelassen und bewahrte die Ruhe.

Der Hattinger Zeitungsbote der WAZ schien nach der Verkündung des Urteils erleichtert zu sein. Mit dem Urteilsspruch ist ein Kapitel beendet, welches sein Leben stark beeinträchtigte. Diesen Samstagmorgen Anfang März 2023 wird der 34-jährige Zeitungsbote, der nach eigenen Angaben seit 13 Jahren Zeitungen auslieferte, nie vergessen. Aus Richtung Sprockhövel kommend wollte er morgens kurz nach drei Uhr in Holthausen von der Sprockhöveler Straße nach links in die Straße Am Schellenberg einbiegen, um dort seine Zeitungen zuzustellen.

Schüsse auf Zeitungsboten: Zufahrt zur Straße, auf der sich die Tat ereignete. (Foto: Höffken)
Der durch den Anschlag verletzte Zeitungsbote Jan-Christopher Jarosch (li) mit seinem Rechtsbeistand, Rechtsanwalt Salewski aus Hattingen. (Foto: Höffken)

In der schmalen Auffahrt zur Straße Am Schellenberg parkte ein heller BMW, der ihm die weitere Zufahrt zu den Häusern versperrte. „Ich sah einen Mann an der Fahrertür stehen, der dann um sein Auto herumging, ein Gewehr aus dem Auto nahm und mit diesem im Anschlag auf mich zukam“, sagte der Hattinger Zeitungsbote während des Prozesses. Identifizieren konnte er aufgrund der Dunkelheit in der Nacht der Tat den Täter nicht. Dass diese Person kein Jäger war bemerkte er, als plötzlich aus diesem Gewehr, einer Kalaschnikow wie sich später herausstellte, unvermittelt auf ihn geschossen wurde.

21 Schüsse aus der Kalaschnikow

Die erste Kugel flog durch die Scheibe des Kleinwagens des Zeitungsboten, knapp an seinem Kopf vorbei und schlug in dessen Finger ein. Unmittelbar wurde ein zweiter Schuss abgegeben, der die Autoscheibe traf. Dann soll noch weiter auf ihn geschossen worden sein. 21 Schüsse soll der Angeklagte insgesamt abgegeben haben, acht Mal in Richtung Zeitungsboten, drei Geschosse trafen das Fahrzeug des Geschädigten. Einschläge stellte die Polizei an der Heckscheibe, an der Kopfstütze, an der Fahrerseite, der Beifahrerseite, der B-Säule und am Anschnallgurt fest. Auch am Kofferraum des Kleinwagens fand die Polizei noch ein Einschussloch.

Neben einer Trümmerfraktur und den Schussverletzungen, die er an seinen Fingern und an der Schulter davontrug, erlitt er ein Knalltrauma, einen Tinnitus und leidet bis heute noch an den Folgen dieser brutalen Tat auf ihn. „Dass er diesen Anschlag überlebt hat, grenzt allein an ein Wunder“, führte Staatsanwalt Pawig in seinem Plädoyer aus.

Dreimal musste der Zeitungsbote noch im Bergmannsheil operiert werden, der aktuelle Heilungsprozess gestaltet sich nicht störungsfrei, er ist immer noch in Behandlung. Seit dem Anschlag auf ihn ist er krankgeschrieben und hofft, dass die fachärztliche Betreuung ihm dabei hilft, die erlittenen Verletzungen auszukurieren.

Die Schwurgerichtskammer war davon überzeugt, dass der bereits u.a. wegen versuchtem Totschlag vorbestrafte 33-jährige Angeklagte mit einer Kalaschnikow auf den 34-jährigen WAZ-Zeitungsboten geschossen hat. Seit Anfang September 2023 stand der aus Oberhausen stammende Angeklagte in Essen vor Gericht – und schwieg. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt.

Staatsanwalt plädierte auf 13 Jahre Freiheitsentzug

Am Ende der Beweisaufnahme beantragte Staatsanwalt Pawig in einem längeren Plädoyer, gegen den Angeklagten tat- und schuldangemessen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren zu verhängen und die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Rechtsanwalt Salewski beantragte als Nebenklagevertreter des Zeitungsboten, den Angeklagten wegen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen und sah ebenfalls die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung des Angeklagten.

Die Strafverteidiger Strüwe und Wandt zeigten detailliert auf, dass ihr Mandant, der Angeklagte, nach ihrer Ansicht ohne Tötungsabsicht gehandelt habe, da die Kalaschnikow u.a. ohne Dauerfeuer betätigt worden sei. Demzufolge sei ihr Mandant (nur) wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und wegen gefährlicher Körperletzung zu bestrafen. Das Strafmaß überließen sie dabei der Schwurgerichtskammer.

In seinem letzten Wort ergriff dann der Angeklagte, der an allen Verhandlungstagen geschwiegen hatte, das Mikrofon und erklärte in Richtung seines Opfers, er hätte nie eine Tötungsabsicht gehabt und es täte ihm aufrichtig leid.   

Landgericht Essen: Die Richter:innen der II. Großen Strafkammer (Schwurgericht) mit Staatsanwalt , Angeklagtem und seinen Verteidigern. (Foto: Höffken)

Urteilsbegründung eskalierte – Angeklagter störte und beleidigte den Vorsitzenden Richter

Der Vorsitzende Richter Schmitt verkündete nach längerer Beratung am heutigen Nachmittag kurz nach 15 Uhr dann den Urteilsspruch der II. Großen Strafkammer unter großem Medieninteresse. Der Angeklagte bleibt in Haft und wurde zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde der Vorbehalt der Unterbringung des Angeklagten nach Verbüßung seiner Strafhaft in der Sicherungsverwahrung verkündet.

Dann kam es bei der Verlesung der Urteilsbegründung zu den massiven und üblen „Ausrastern“ des Angeklagten gegenüber dem Vorsitzenden Richter Schmitt.

 Gegen das Urteil kann noch Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.