Hattingen/Sprockhövel – Es war kein gewöhnlicher Samstag (5. April 2025) im Gemeindezentrum Holthausen. Rund 110 Menschen aus allen sechs evangelischen Gemeinden in Hattingen und Sprockhövel waren gekommen – nicht zur Andacht, sondern zur Information. Und vor allem: zur Mitgestaltung. Denn was da im Entstehen ist, ist nicht weniger als eine neue Kirchengemeinde. Eine, die gemeinsam segeln will. Nicht mehr als Einzelfahrer auf stürmischer See, sondern als Flotte mit Kurs in die Zukunft.
Wenn Kirche sich selbst reformiert
In Zeiten schrumpfender Mitgliederzahlen und angespannter Finanzen könnte man meinen, dass Veränderung von oben kommt – durch Verordnungen aus der Landeskirche. Doch in der evangelischen Kirche ist das anders. Hier sitzen die Verantwortlichen mitten in der Gemeinde, stehen als Pfarrerinnen und Pfarrer in der ersten Reihe – und sehen Tag für Tag, wo der Schuh drückt.
Schon 2019 begannen erste Gespräche und Kooperationen. Es war klar: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Aus zwölf Pfarrstellen sind acht geworden – zwei davon werden 2025 in den Ruhestand verabschiedet. Nachrücker? Fehlanzeige. Fachkräftemangel macht auch vor der Kanzel nicht halt. Am Ende werden sieben Pfarrerinnen und Pfarrer bis 2031 die Arbeit leisten – und das ist bereits ein Erfolg.
Kirche wächst zusammen (Foto: Holger Grosz)
Steuergruppe auf Kurs
Im Jahr 2022 wurde es ernst: Eine Steuerungsgruppe aus allen Gemeinden übernahm die Arbeit. Vieles ist inzwischen geklärt, einiges muss sich erst im Alltag bewähren – und manches ist noch offen. Aber das Ziel ist klar: eine starke gemeinsame Gemeinde, die gleichzeitig die Vielfalt der bisherigen Strukturen erhält.
Wie das aussehen kann, zeigte sich eindrücklich beim Informationstag. Zu Beginn stand das Bild von sechs Schiffen im Raum, die gemeinsam einen Flottenverband bilden. Unterschiedlich in Größe, Ausstattung und Kurs – aber vereint durch ein gemeinsames Ziel. Ein Bild, das hängen blieb. Und ein Sinnbild für das, was sich derzeit zwischen Hattingen und Sprockhövel entwickelt.
Fragen, Sorgen, Hoffnungen
Auf langen weißen Tischtüchern sammelten die Teilnehmenden ihre Gedanken: Was treibt uns um? Was erwarten wir von der neuen Gemeinde? Was dürfen wir nicht verlieren? Nach einer kurzen Pause wurden dann die bisherigen Ergebnisse vorgestellt – offen, ehrlich, transparent.
Die gute Nachricht: Keine Kirche wird geschlossen, keine Gemeinde aufgegeben. Aber das Angebot wird neu gedacht. Warum sechs Gottesdienste zur gleichen Zeit anbieten, wenn die Kirchenbänke vielerorts leer bleiben? Ab September 2025 startet eine dreimonatige Testphase. Sonntags wird es dann Gottesdienste um 10:00, 11:30 und 18:00 Uhr geben – reihum in allen sechs Gemeinden. Danach wird geschaut, was funktioniert, was angepasst werden muss.
Neue Formate, neue Wege
Klar ist schon jetzt: Familiengottesdienste, Pilgerkirche oder „Frei.Tag.“ kommen gut an. Solche Formate sollen ausgebaut werden. Auch Taufen, Konfirmationen und Jugendgottesdienste sollen weiterhin ihren Platz haben – allerdings nicht mehr „nebenbei“ im normalen Sonntagsgottesdienst, sondern als eigenständige Feiern. Das schafft Raum für Tiefe und Bedeutung.
Kirche wächst zusammen (Foto: Holger Grosz)
Ein Knackpunkt: die Kommunikation. Jeder Gemeindebrief war bisher ein kleines Herzensprojekt – liebevoll gestaltet, individuell, vertraut. Nun soll es einen gemeinsamen Gemeindebrief geben – hochwertig, vielleicht im quadratischen Magazinformat, und mit frischen Ideen. Ein echter Hingucker, der künftig auch in Arztpraxen ausliegen soll. „Ein echter Marketingclou“, war dazu zu hören – mit einem Augenzwinkern, aber viel Ernst dahinter.
Ein Büro für alle
Gemeinde- und Friedhofsbüro werden an einem Ort gebündelt. Die zeitliche Erreichbarkeit wird dadurch wachsen. Die Wege werden länger – was sich aber dadurch entschärft, dass auch in den Gemeindebüros die Kontakte zunehmend per Telefon und digital erfolgen. Für Schulen und Kitas braucht es noch tragfähige Lösungen – daran wird noch gearbeitet.
Drei Konfirmandengruppen wird es geben. Und auch die Presbyterien werden neu gedacht. Ein Riesengremium mit 23 Personen? Kaum praktikabel. Stattdessen soll es ein zentrales Leitungsteam geben, unterstützt von vier spezialisierten Arbeitsgruppen: Finanzen, Bau/Kirchbaumeister, Jugendarbeit und Öffentlichkeitsarbeit.
Kirche wächst zusammen (Foto: Holger Grosz)
Und wie heißt das Kind?
Bei so vielen Veränderungen stellte sich zum Schluss die vielleicht banalste – und gleichzeitig symbolträchtigste – Frage: Wie soll die neue Gemeinde heißen? Viele Namen standen im Raum, klangvolle und kreative. Am Ende entschied man sich für Klarheit statt Kunst: Evangelische Kirchengemeinde Hattingen Sprockhövel – eindeutig, schlicht, unmissverständlich.
Denn bei aller Emotion, bei allem Aufbruch, bei aller Hoffnung auf neue Wege: Es geht um Gemeinschaft, um Orientierung, um ein gemeinsames Ziel. Oder um es in einem Bild zu sagen: Die sechs Schiffe haben den Anker gelichtet. Die Flotte ist bereit, in See zu stechen.
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