ALT, ARM UND EINSAM – LEBEN IST MEHR

Quartiersentwicklerin Gabriele Krefting und Stefanie Berkermann, Fachbereichsleitung Soziales und Wohnen bei der Stadt Hattingen (Foto: Pielorz)

Hattingen- Zum dritten Mal wird es in Hattingen eine Armutskonferenz geben. Standen bei den ersten beiden Terminen 2012 und 2014 Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt, wird es bei der dritten Auflage am Dienstag, 8. Oktober, 16 bis 19 Uhr, im Hattinger Rathaus um die Senioren gehen. Dabei stehen unter dem Motto „Alt, arm und einsam – Leben ist mehr!“ Altersarmut und Alterseinsamkeit im Fokus der Überlegungen. Neben Vertretern verschiedener Hattinger Institutionen ist die Konferenz offen für alle Hattinger Bürger.

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Im Sozialbericht des EN-Kreises 2018 steht, dass in Hattingen 13.510 Personen (24 Prozent) der Bürger über 65 Jahre alt sind. Hattingen ist damit übrigens die älteste Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis. Schwieriger wird es bei Zahlen zu Altersarmut oder gar Einsamkeit. Die gibt es nämlich nicht. Was man weiß: 750 Hattinger beziehen derzeit eine Grundsicherung von bis zu 424 Euro im Monat und von diesen sind 80 Prozent über 65 Jahre alt. Stefanie Berkermann, Fachbereichsleitung Soziales und Wohnen, und Quartiersentwicklerin Gabriele Krefting sind aber sicher: Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen.

Zahlen sind den beiden Frauen auch nicht so wichtig. Für sie stehen die persönlichen Schicksale im Mittelpunkt. „Uns ist wichtig, dass jeder ältere Mensch an Angeboten in seinem Umfeld teilnehmen kann. Wir wissen, dass es im Alter oft eine verschämte Armut gibt. Die Menschen hätten Anspruch auf finanzielle Unterstützung, aber sie nehmen sie nicht in Anspruch, weil die Scham zu groß ist. Manche von ihnen wissen auch nicht, welche Hilfe ihnen zusteht. Das Ergebnis ist aber immer gleich: Sie haben wenige oder keine persönlichen Ansprechpartner und vereinsamen“, so Stefanie Berkermann. Hier mache sich auch die gesellschaftliche Entwicklung bemerkbar. Die unterschiedlichen Generationen lebten oft weit voneinander entfernt und könnten sich gegenseitig nicht mehr unterstützen. Familiäre Trennungen und Scheidungen tragen zusätzlich gerade bei Frauen zur Altersarmut bei. Das wollen die Expertinnen ändern. „Wir denken kleinteilig, wir denken in Nachbarschaften. Wer wohnt gleich nebenan und könnte Hilfe gebrauchen – das ist die Frage, die wir uns stellen. Und wer sich in einem Café keinen Kaffee leisten kann, der findet durch Vernetzung untereinander vielleicht die Möglichkeit, ihn bei der Nachbarin zu trinken“, macht Gabriele Krefting deutlich. Die Quartiersentwicklerin war lange im Rauendahl unterwegs und hat die Erfahrung gemacht: „Man muss die älteren Menschen persönlich ansprechen. Sie freuen sich über die Ansprache, aber viele von ihnen sind ängstlich und haben nicht den Mut, aus eigener Kraft auf Menschen zuzugehen.“

Stadtwerke Hattingen

Deshalb steht ein konkretes Ergebnis als Ziel der Armutskonferenz ganz oben auf der Agenda. Wie genau das aussehen könnte, ist aber offen – schließlich weiß man ja auch nicht, wer, welche und wie viele Teilnehmer es geben wird. Und direkt einladen kann man die älteren Herrschaften nicht – das ist ähnlich wie mit der Seniorenfeier – der Datenschutz lässt grüßen. „Aber wir stellen uns vor, dass Menschen kommen, die andere Menschen kennen, die zur Zielgruppe gehören und ihnen die Möglichkeiten nahebringen.“ Das nämlich ist die spannende Frage, die sich auch im Programm der Armutskonferenz findet: Wie erreichen wie die Unerreichbaren? Dieses Problem gibt es nämlich auch in anderen Städten: es ist oft schwer, ältere Menschen zu einer (Wieder)Aufnahme von sozialen Kontakten zu bewegen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass soziale Isolation das Risiko für chronischen Stress, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Demenz, frühen Tod und Suizid erhöhen. Auch Pflegebedürftigkeit tritt bei einsamen Menschen früher und häufiger auf. Nach einer Studie der Brigham Young University ist Einsamkeit bezogen auf die Gesamtsterblichkeit so schädlich wie Rauchen oder Fettleibigkeit. Aber: Nicht jeder mit wenig sozialen Kontakten ist automatisch einsam. Auch wer wenig gesellig ist und sich selbst genügt, kann sich ein abwechslungsreiches, erfülltes Lebensumfeld schaffen, ohne über längere Zeit die Gesellschaft anderer zu vermissen. „Eine gewisse soziale Eingebundenheit aber braucht jede und jeder“, sagt Jule Specht, Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt- Universität zu Berlin. „Wir alle profitieren in unserem emotionalen Wohlbefinden von sozialen Kontakten.“

Soziale Kontakte müssen nicht immer persönliche Kontakte sein. Ein telefonischer Besuchsdienst, wie er seit vier Jahren in Bochum existiert, soll mit Hilfe von Ehrenamtlichen auch in Hattingen eingeführt werden. Hier wird eben einfach am Telefon miteinander gesprochen. „Wir haben uns durch unsere Erfahrung in der Quartiersentwicklung inspirieren lassen. Wir wissen, dass Altersarmut und Alterseinsamkeit nicht deckungsgleich sind. Wir wissen aber auch, dass die Teilhabe am privaten und öffentlichen Leben beispielsweise durch eingeschränkte Mobilität sowie gesundheitlichen und finanziellen Problemen das bis dahin selbstbestimmte Leben stark verändert und einschränkt. Hier möchten wir einen aktiven Gegenpol setzen“.