OFFENER BRIEF AN DIRK GLASER: UNSERE SCHULE HAT KEIN LUFTFILTERGERÄT BEKOMMEN

Weiltor-Grundschule in Hattingen (Foto: Barteczko)

Der offene Brief wurde von Schulleitung und Schulpflegschaft verfasst. Er entspricht nicht zwingend der Meinung der Redaktion. Einige der Fragen hatte RuhrkanalNEWS bereits vor einigen Wochen an die Stadt gerichtet. Damalige Antworten weichen von den Beschreibungen der Schulleitung und -pflegschaft ab. (Hier geht es zu dem Bericht)

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Sehr geehrter Herr Glaser,
wir hatten schon vor Ende der Sommerferien bezüglich des Corona-Schutzes an den Hattinger Schulen angeschrieben. Da die Stadt Hattingen Schulträger vieler Schulen ist und Sie als Bürgermeister der Schulverwaltung vorstehen erhofften wir uns von Ihnen Antworten auf die Fragen, die vielen Eltern und Lehrern unter den Nägeln brennen:

1. Welche Maßnahmen zur Vorsorge in den Schulen wurde bisher seitens der Stadt getroffen? Und wie gut sind die Hattinger Schulen auf die vierte Corona-Welle vorbereitet?
2. Wie viele Klassen gibt es in Hattingen?
3. Wie viele davon sind mit CO2-Ampeln ausgestattet?
4. Wie viele davon sind mit Belüftungsanlagen ausgestattet?
5. Wie viele davon sind mit Luftfilteranlagen ausgestattet?
6. Bei wie vielen Klassen ist querlüften baubedingt möglich (Fenster an mehreren Raumseiten)?
7. Bei wie vielen Klassen kann keine der oberen drei Maßnahmen zu Verringerung der Aerosole in der Luft angewendet werden?
8. Welche Maßnahmen sind für diese Klassen vorgesehen und welche wurden davon bereits realisiert?
9. Welche Maßnahmen sind bei „Querlüfter-Klassen“ vorgesehen und bereits umgesetzt, wenn aufgrund eines nicht vorhanden Temperaturgefälles zwischen innen und außen oder wegen Windstille ein Querlüften nicht möglich ist?
10. Bei welcher Außentemperatur wird ein Querlüften alle 20 Minuten für mindestens 5 Minuten für Kinder unzumutbar?

Das Land NRW hat beschlossen, dass im Falle einer Infektion, nur das infizierte Kind in Quarantäne muss. In diesem Zusammenhang drängen sich die folgenden Fragen zur IT-Infrastruktur unserer Schulen auf:

11. Ist mittlerweile jede Schule mit einem Breitband- Internetanschluß ausgestattet?
12. Für wie viele Schulklassen – hier insbesondere die Grundschulklassen – besteht für den Falle eines erneuten Home Schoolings zumindest eine ausreichende technische Infrastruktur für Online-Unterricht?
13. Kann technisch sichergestellt werden, dass die sich in Quarantäne befindlichen Kinder online am laufenden Unterricht teilnehmen können?

Leider wurde keine einzige unserer Fragen von Ihnen beantwortet. Daher versuchen wir diesmal mit diesem offenen Brief von Ihnen konkrete Antworten zu erhalten.

Nur um sicherzustellen, dass wir uns alle der aktuellen Situation bewusst sind wollen wir versuchen kurz die Corona-Lage zusammenzufassen. Gerade weil im Moment in Politik und Gesellschaft eine „keinen Bock mehr auf Einschränkungen“ Stimmung vorherrscht ist es wichtig auf die Fakten zu schauen. Covid-19 ist eine weltweite Pandemie, die es seit Januar 2020 gibt. Alleine in Deutschland sind mittlerweile fast 100.000 Menschen daran gestorben. Wir müssen hier nicht aufzählen welche Maßnahmen alle ergriffen wurden, um diese Pandemie wieder in den Griff zu bekommen und welche Opfer von vielen Gesellschaftsgruppen gebracht wurden. Aber am stärksten traf es unsere Kinder. Sie waren es, die über Monate keinen Unterricht, keinen Kindergarten hatten, deren kompletten sozialen Kontakte weggebrochen sind, keine Sportvereine, nur eingeschränkte Kontakte zu Freunden und Verwandten wie zum Beispiel Oma und Opa, keinen Urlaub, keine Zoos, keine Musikschule, kein Chor, keine Jugendzentren, usw.

Die Eltern waren und sind nicht in der Lage das alles aufzufangen und auszugleichen. Wir waren selbst oft hart von den Auswirkungen der Pandemie getroffen und am Limit, oder schon darüber hinaus belastet. Gerade für Kinder aus sozial oder finanziell benachteiligten Familien waren die Auswirkungen fatal. Bernd Siggelkow, der Gründer des Kinder- und Jugendwerks „Arche“, formuliert das in einem ZDF-Interview so: „Wir haben eine Generation Corona, gerade bei den sozial benachteiligten Kindern, die wird uns noch richtig auf die Füße fallen. … Die Lernlücken sind fast nicht mehr aufzuholen. … Jetzt braucht es dringend im Bildungssystem Hilfslehrer und Studenten, die das wieder auffangen. … Aber das passiert im Moment nicht.“

Als Auswirkung der Pandemie ist im letzten Jahr die häusliche Gewalt u.a. gegen Kinder stark gestiegen , ebenso wie Essstörungen und psychische Belastungen. Es fehlen die Kontrollinstanzen wie Schulen, Kindergärten und Sportvereine, die diesbezüglich einiges auffangen können.

In Deutschland und weltweit herrscht im Moment die Delta-Variante vor, die deutlich ansteckender ist und öfter zu schweren Verläufen führt. Das ist auch eine mögliche Erklärung dafür, dass obwohl über 50 Mio. Menschen in Deutschland mittlerweile komplett geimpft sind, wir dieses Jahr bei der Inzidenz das Jahr 2020 längst überholt haben. Unsere aktuelle Inzidenz von über 100 in Hattingen hatte wir letztes Jahr erst Mitte Oktober. Wir sind damit in Deutschland nicht alleine. In Israel, dem weltweiten Impfvorreiter verzeichnete man kurz vor Ende der Sommerferien einen absoluten Rekordwert von 11.000 Infektionen (trotz 21,5 Mio Drittimpfungen!). Dort hat sich jeder zehnte Schüler mit Corona infiziert. Auch wir in Hattingen haben schon in über 50% der Hattinger Schulen Corona-Ausbrüche.

Die aktuellen Zahlen lassen befürchten, dass das von der Virologin Melanie Brinkmann Anfang Juli beschriebene Szenario „… denn die Delta-Variante wird nach den Sommerferien sehr schnell durch die Schulen rauschen, wenn wir keine Vorsorge treffen“ eintreten wird. Die größte Ansammlungen Ungeimpfter treffen sich in den Klassenzimmern unserer Schulen. Man muss also wahrlich kein Wissenschaftler sein, um vorhersehen zu können, was passieren wird.

Die Fragen von Virologe Prof. Alexander Kekulé formuliert bei Markus Lanz „Was ist eigentlich der Plan? Wollen wir eine absichtliche unkontrollierte Durchseuchung der Kinder?“ sind zwar provokant formuliert, aber durchaus angemessen. Wenn man sich die derzeitigen Inzidenzen von Kindern und Jugendlichen betrachtet, könnte man genau zu diesem Schluss kommen. Auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, sind die Folgen einer Infektion aber nicht vorhersehbar. Neuere amerikanische Studien haben herausgefunden, dass die Hospitalisierungsquote bei infizierten Kindern zwischen 0,3 bis 1,7 Prozent liegt. Bezogen auf Deutschland bei knapp elf Millionen Schülern hieße das, dass zwischen 30.000 und 180.000 in Krankenhäusern behandelt werden müssten. Es treten immer mehr Fälle von Long Covid bei Kindern und Jugendlichen auf. Die Auswirkungen einer Infektion sind noch nicht hinreichend untersucht und erforscht.

Weil wir Erwachsenen und älteren Menschen stärker von der Krankheit bedroht waren haben wir von unseren Kindern und den Jugendlichen Solidarität eingefordert und ihnen viel abverlangt. Man sollte meinen, dass wir im Gegenzug, wo es jetzt um die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geht, bereit sind das gleiche zu leisten. Aber weit gefehlt! Es herrscht in Politik und Gesellschaft eine „keinen Bock mehr auf Einschränkungen“ Stimmung vor. Wir feiern eine Fußball Europameisterschaft, mit einem Endspiel das alleine laut Englischer Gesundheitsbehörde zu fast 3.500 Neuinfektionen geführt hat. Und das obwohl für den Zutritt zum Wembley Stadion ein Corona Test vorgeschrieben war. Wir öffnen wieder Diskotheken, Feste und Veranstaltungen. Es ist aber unsere Pflicht, als Eltern und auch als Gesellschaft jetzt die Jüngeren und Jüngsten zu schützen und uns ebenfalls noch einzuschränken.

Das Problem ist nicht nur ein Hattinger Problem, sondern ein weltweites. Wir als Hattinger Bürger und Sie als unser Bürgermeister und Chef des Schulträgers können aber bei uns im Kleinen anfangen und die Maßnahmen ergreifen, die möglich sind und die die Kinder unserer Stadt und somit auch alle Einwohner schützen.

Auch an unserer Schule (Weiltor-Grundschule) wurde der Bedarf an Luftfilteranlagen für alle Klassenräume, inkl. OGS und Turnhalle mehrfach angemeldet. Bisher hat unsere Schule aber noch kein einziges Gerät erhalten.
Wir hoffen natürlich inständig, dass die Stadt Hattingen ihre Hausaufgaben nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie gemacht hat und würden uns sehr für alle unsere Kinder freuen, wenn Sie uns mit positiven Antworten überraschen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Schmidt – Schulleitung der Weiltor-Grundschule
Elisabeth Neuffer – Vorsitzende der Schulpflegschaft
Yasmin Schilling – Stellvertretende Vorsitzende