KOMMENTAR: WIE ZWEI BUSHALTESTELLEN ZUM SYMBOL DES STILLSTANDS WERDEN

Für zwei Bushaltebuchten gesperrte Durchfahrt auf Ausweichstrecke für die A 45 (Foto: RuhrkanalNEWS)

Die Infrastruktur in Deutschland ist marode. Die Rahmedetalbrücke hat es zu trauriger europaweiter Bekanntheit gebracht, die Datenübertragungsraten in weiten Teilen des Landes sind erbarmungswürdig schlecht, das Schienennetz ist bemitleidenswert und kaum eine Maßnahme, die das ändern soll, wird pünktlich fertig. In der Regel sehen die Bürger:innen die Schuld bei den beauftragenden Behörden. Doch die trifft oft keine Schuld. RuhrkanalNEWS-Redakteur Frank Strohdiek macht das mit seinem Kommentar an einer kleinen und deshalb gut überschaubaren Baumaßnahme an seinem Wohnort in Breckerfeld deutlich.

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Oktober 2022, für die Bewohner des kleinen Breckerfelder Vororts Zurstraße wird unerwartet plötzlich die Hauptdurchgangsstraße einseitig gesperrt, eine imposante Ampelanlage mit aufwendiger Fußgängerführung aufgestellt. Normalerweise wäre das an der L528 kein Thema, doch der Abschnitt ist Teil einer der Ausweichstrecken für die bei Lüdenscheid gesperrte A45. Im Rahmen einer größeren Sanierung der L528 sollen die beiden Bushaltebuchten neu gepflastert und die Bordsteine ersetzt werden, damit ein barrierefreier Buszugang möglich wird. Alles in allem eine überschaubare Aufgabe, keine Raketenwissenschaft.

Bis zum Ende des Jahres 2022 soll alles erledigt sein, sagen Straßen.NRW ausdrücklich und die beteiligte Firma euovia vinci implizit, da sie den Auftrag so akzeptiert und angenommen hat. Die Ampeln stehen und sorgen für Staus, allein bei den Bushaltestellen bewegt sich wenig bis nichts. Ab und zu sind zwei, drei Arbeiter zu sehen, die mehr oder weniger engagiert die überschaubaren Arbeiten angehen. Schnell wird auch Laien klar: Bei dem Tempo wird das bis zum Jahreswechsel nicht fertig. Viel zu oft ist die Baustelle verwaist. Das gilt für den kurzen Abschnitt mit den Haltebuchten ebenso wie für den großen, bei dem die Asphaltschicht auf mehreren Kilometern zwischen Hagen und Breckerfeld-Zurstraße komplett neu aufgebaut werden soll.

Ruhe auf der Baustelle (Foto: RuhrkanalNEWS)

Das Wetter ist schwierig

Und irgendwann ist es Mitte Dezember, die erste Haltebucht ist halbwegs fertiggestellt, es sind nur noch kleinere Arbeiten zu erledigen. Dann kommt nach einem sehr warmen Herbst, kurz vor Winterbeginn ein Frosteinbruch am 15. des Monats. Daraufhin wird über die örtliche Presse verkündet, dass die Arbeiten nicht bis zum Jahresende abgeschlossen werden würden. Grund: das Wetter. Aktuell der Frost und vorher habe es geregnet. Und überhaupt, Herbst sei für Straßenbau einfach unplanbar. Die üblichen Begründungen. Kein Wort darüber, dass gefühlte 60 bis 70 Prozent der Zeit keine Bauarbeiter auf der Baustelle anzutreffen waren. Dass nach Wahrnehmung der Anwohnerinnen und Anwohner immer wieder mal benötigte Baumaschinen hingestellt wurden, tagelang unbenutzt im Baustellenbereich parkten und dann für kurze Zeit doch mal Bautrupps anrückten, um die Arbeiten in wenigen Tagen zu erledigen damit danach wieder eine menschenleere Baustelle zu besichtigen war. So lange, bis die Maschinen wieder abgeholt wurden, um nach mehreren Tagen des erneuten Stillstands durch andere ersetzt zu werden, die dann wieder längere Zeit unbenutzt rumstanden bis zum Eintreffen einer Gruppe Bauarbeiter, die die Baugeräte für die zeitlich kurzen Arbeiten benutzten.
Mit der Mitteilung, dass die Arbeiten nicht zum ursprünglich geplanten Termin fertig werden würden, kündigt Straßen NRW an, dass sie wahrscheinlich bis Ende Januar erledigt seien, wenn das Wetter nicht mitspiele, könne es aber auch bis Februar oder sogar Ende März dauern. In Zurstraße wollen daraufhin viele Bewohner Wetten abschließen, dass vor Ende März die Baustelle nicht erledigt sein wird, allein, niemand will dagegenhalten.

Und so kommt es dann auch. Am 24. März 2023 sind die Arbeiten an den Bushaltestellen immer noch nicht erledigt. Die Pressestelle von Straßen.NRW teilt auf Anfrage mit, dass die Behörde „nicht glücklich“ über den schleppenden Verlauf der Arbeiten sei. Leider biete das Vergaberecht aber keine Möglichkeit, die Baufirmen wegen solcher Verzögerungen beispielsweise zu Strafzahlungen zu verdonnern. Der Ansprechpartner von eurovia vinci schiebt den schwarzen Peter in Richtung Behörde. Man habe von Anfang an darauf hingewiesen, dass ein Baubeginn im Herbst für diese Maßnahme denkbar ungeeignet sei. Und überhaupt findet der Mann es erstaunlich, dass sich die Medien, von Radio Hagen über die Westfalenpost, dem WDR bis zu RuhrkanalNEWS, so sehr für die Arbeiten an der Baustelle interessieren. Der Beobachtung der Anwohner (u.a. dem Autoren dieses Kommentars), dass die Baustelle sehr oft stillgelegen habe, kann der eurovia-Sprecher nicht nachvollziehen. Der Herbst sei einfach zu kalt und nass gewesen. Warum dann nach dem Telefonat und der medialen Aufmerksamkeit, die Bauarbeiten plötzlich bei strömendem Regen und niedrigeren Temperaturen als im Oktober und auch Teilen des Novembers ausgeführt werden können, wird ein Geheimnis des ausführenden Unternehmens bleiben.

Nach knapp sechs Monaten, Mitte März 2023, sind die Bushaltebuchten fertig, es fehlt die neue Asphaltdecke auf der Straße (Foto: RuhrkanalNEWS)

Den Behörden fehlen Sanktionsmöglichkeiten

Am 31. März fehlen zwar noch die Fahrbahnmarkierungen an den Bushaltestellen, aber irgendwann im Laufe des Tages werden die Absperrungen zur Seite geschoben und damit die Straße mindestens inoffiziell, vielleicht sogar offiziell wieder freigegeben. Die Arbeiten haben letztendlich etwa doppelt so lange gedauert, wie ursprünglich angekündigt. In der Region geht die Angst um, dass die Baufirma Teile der Aufträge zum Neubau der Rahmedetalbrücke übernehmen könnte. Das könnte die Fertigstellung enorm verzögern, denn der nächste Herbst mit Regen und kühleren Temperaturen kommt bestimmt. Von den unangenehm heißen Sommern wollen wir gar nicht reden. Daran wird auch eine gestern (1. April 2023) vom Koalitionsausschuss in Berlin verabredete Beschleunigung im Planungsrecht nichts ändern. Wenn die Baustellen, so wie in Zurstraße, tage- und wochenlang stillstehen, ohne dass die beteiligten Bauunternehmen das finanziell zu spüren bekommen, wird sich nichts ändern.