Hattingen- Zum ersten Mal wird mit der Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus begonnen. Bürgermeister Dirk Glaser begrüßt etwa 100 Menschen, die an den Beginn des organisierten Terrors gegen jüdische Gemeinden und Bürger vor 79 Jahren erinnern. Dirk Glaser spricht in seiner kurzen Rede davon, dass auch aus dem Gebiet der heutigen Stadt Hattingen, während der Nazi-Herrschaft, 24 Jüdische Menschen verschleppt wurden, von denen mindestens 18 in Konzentrationslagern starben. “Doch klar ist auch, dass Antisemitismus nicht nach 45 einfach verschwunden ist”, sagt er weiter. “Aber wenn heute aus Kindern antisemitische Jugendliche werden, dann läuft etwas schief.” Auch deshalb ruft das Stadtoberhaupt dazu auf, rechten Tendenzen entgegenzutreten und fremdenfeindliche Äußerungen nicht zu tolerieren. Dabei weist er auf eine häufig unselige Wesensverwandtschaft hin. Die von deutschen Rechtsradikalen und arabischen Antisemiten, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen. “Hier haben wir noch viel zu tun”.
Dann übergibt er das Mikrofon an Helmut Lemmer. Er liest drei Texte. Darunter zwei Gedichte, die zur Zeit des Dritten Reiches in Konzentrationslagern entstanden sind. Sie schildern eindrucksvoll, wie verzweifelt die Menschen angesichts von Tod und Vernichtung waren. In einem Prosatext beschreibt ein Junge, warum es für jüdische Mitbürger so schwierig war Deutschland zu verlassen. Familiäre Bindungen und die Sorge um Verwandte, die man möglicherweise zurücklässt, verhindern die rechtzeitig Flucht, die das eigene Leben hätte retten können.
Realschülerinnen beeindrucken mit Spielszene
Gondrand Grünstein aus der jüdischen Gemeinde Bochum schildert bewegend, wie stark die ermordeten Verwandten, die er nie kennenlernen durfte, seine Kindheit prägten. “Meine Eltern und Großeltern dachten bis zur Reichpogromnacht, sie seinen Bürger Deutschlands. In dieser Nacht zerbrach ihre Existenz, ihr Weltbild”, so Grünstein. Und die Folgen der Vernichtung sind über das Naziregime hinaus spürbar. Stühle bei Familienfeiern bleiben leer, da Großeltern, Tanten, Onkel in den Vernichtungslagern des Dritten Reichs von Nationalsozialisten ermordet wurden. Seine Eltern verbieten ihm die Mitgliedschaft bei den Pfadfindern, da diese eine Uniform tragen und Fackeln benutzen. Diese Dinge bringen sie mit der Terrorherrschaft in Verbindung. Auch St. Martinszüge mit ihren Laternen, die Symbole für Fackeln sind, sind für Grünsteins Eltern, bis zu ihrem Tod vor wenigen Jahren, nur schwer zu ertragen.
Für eine junge Komponente in die Gedenkfeier sorgen drei Schülerinnen der Realschule Grünstraße. Kim, Nina und Paula zeigen in einer kurzen Theaterszene, wie schnell Ausgrenzung entsteht und wie sich Jugendliche effektiv dagegen wehren können. Die kurze Szene stellt ganz eindeutig eine Schulhofsituation dar. Sie ist, so wird vom Bürgermeister angekündigt, der Auftakt zu einer Kooperation, die in den kommenden Jahren fortgesetzt werden soll.
Bevor es dann zum Denkstein geht, an dem der Kranz niedergelegt wird, erinnert Marianne Franzen im Gespräch mit Dirk Glaser daran, dass dieses Mahnmal vor genau 30 Jahren errichtet wurde. Franzen war seinerzeit Mitglied des Vereins, der nur für die Errichtung des Denksteins gegründet und nach seiner Errichtung wieder aufgelöst wurde. Der Name “Denkstein” wurde von den Vereinsmitgliedern ganz bewusst gewählt. Denn er soll nicht nur an die Gräuel des Dritten Reiches erinnern, sondern auch dazu anregen über die Gestaltung einer humanen und demokratischen Gesellschaft nachzudenken. Errichtet wurde er in der Nähe des Ortes, an dem früher die Hattinger Synagoge stand. Heute verläuft dort die August-Bebel-Straße.