Hattingen/Sprockhövel – Jeder Mensch hat ein Recht auf Inklusion, also darauf, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. So steht es in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die seit 2009 auch in Deutschland gilt. Gemeinsame Bildung von Anfang an war das Thema des Elterntreffs im November 2021. Britta Schlitter (49), Leiterin und Fachkraft für Inklusion in der Städtischen Tageseinrichtung für Kinder „An der Hunsebeck“ stellte Theorie und Praxis vor.
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Jeder kann mitmachen. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in der Schule. Wenn jeder Mensch überall dabei sein kann, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit: Das ist Inklusion. Ausnahmen werden zur Regel. Doch dieser Prozess ist noch längst nicht am Ziel und Inklusion hat eine Geschichte. „Auf dem Weg zur Inklusion gibt es zwei weitere Begriffe, die man kennen sollte. Es ist die Exklusion und die Integration. Die Exklusion meint die Ausgrenzung – du gehörst nicht dazu. Dahinter verbergen sich Diskriminierungen beispielsweise aufgrund von Hautfarbe, Religionszugehörigkeit oder Handicaps. Die Integration meint Eingliederung. Die Minderheit gliedert sich in die Mehrheit ein, eben in das, was die Mehrheit als richtig und wertig empfindet. Schließlich die Inklusion, die jeden verschieden sein lässt und jeden einzelnen mit seiner bunten Individualität als dazugehörig empfindet.“
Noch vor einigen Jahren war es fast selbstverständlich, dass Kinder, die ein Handicap haben, auf eine besondere Schulform gehen. 1880 wurde die erste Sonderschule in Deutschland gegründet. Diese Schulen haben sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt. Sie fördern beispielsweise Kinder auf kognitive oder emotionale Weise. Die Situation 2009 sah so aus: Im Bundesdurchschnitt werden 84,3 Prozent der Kinder mit Förderbedarf an separierenden Förderschulen unterrichtet. Die Ergebnisse nationaler wie internationaler Studien stehen im deutlichen Widerspruch zu dieser pädagogischen Praxis. Insbesondere für den Förderschwerpunkt Lernen zeigen die Studien, dass der Gemeinsame Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne besonderen Förderbedarf deutliche Vorteile hat: Die Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf machen bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte, wenn sie an einer allgemeinen Schule lernen können. Werden sie hingegen in eigens für sie geschaffenen Förderschulen unterrichtet, entwickeln sich ihre Leistungen ungünstiger, je länger sie die Förderschule besuchen. Aber auch die Schüler und Schülerinnen ohne einen besonderen Förderbedarf werden im Gemeinsamen Unterricht nicht in ihrer Leistungsentwicklung gebremst. Sie profitieren vielmehr vom Gemeinsamen Unterricht, in dem sie ein höheres Selbstwertgefühl und ein positiveres Leistungsselbstkonzept entwickeln. Angesichts dieser Befunde muss die Wirksamkeit der Förderung von Kindern in separierenden Förderschulen hinterfragt werden. Zumindest für den Förderschwerpunkt Lernen, der nahezu die Hälfte aller Förderschülerinnen und -schüler umfasst, muss der separierende Unterricht zu den unwirksamen Maßnahmen des deutschen Schulsystems gezählt werden (Prof. Klaus Klemm im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 2009).
Am 26. März 2009 wurde die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch den deutschen Bundestag ratifiziert. Kinder mit Behinderungen, die bisher in Deutschland überwiegend in Förderschulen unterrichtet wurden, durften danach nicht mehr vom allgemeinen Schulsystem ausgeschlossen werden. Die Konvention gibt ihnen das Recht auf Zugang zu einem inklusiven Schulsystem und auf die notwendige Unterstützung, beispielsweise durch Inklusionshelfer, die in der Kita oder in der Schule zum Einsatz kommen. Im Schuljahr 2019/2020 hatten an allgemeinbildenden Schulen ca. 568 000 Schüler sonderpädagogischen Förderbedarf. Davon ging etwas mehr als die Hälfte (gut 325 000) auf Förderschulen. Gut 95 000 Schülerinnen und Schüler wurden im Schuljahr 2019/2020 in Grundschulen sonderpädagogisch gefördert (Statistisches Bundesamt 2021). Die Zahlen bilden aber nur Teile der Realität ab, weil die Definition zum Förderbedarf länderspezifisch ist und unterschiedlich definiert wird.
Die Aktion Mensch gibt an: Deutschland bewegt sich mit einer Förderquote von 7,6 Prozent im Schuljahr 2018/19 europaweit im Mittelfeld. Im Schuljahr 2008/09 lag die Quote noch bei 6 Prozent. Es war das erste Schuljahr nach der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention.
Bildung und Gemeinsamkeit von Anfang an – das beginnt in der Regel in der Kita. „Ob ein Förderbedarf für ein Kind notwendig ist, wird manchmal erst in der Kita festgestellt. In manchen Fällen wissen es die Eltern aber natürlich schon vorher. Das ist beispielsweise der Fall, wenn es um Krankheiten bei einem Kind geht, etwa Diabetes oder Einschränkungen in der Mobilität oder auch beim Sehen oder Hören. Ist das der Fall, erfahren wir das in der Regel bereits bei der Anmeldung für die Einrichtung. Wenn die Eltern dann die Zusage für einen Kita-Platz erhalten haben, kommt es zu einem Aufnahmegespräch, in dem bereits erste Weichen gestellt werden“, erzählt Britta Schlitter.
Im Gegensatz zur Aufgabe der Erzieherin, die sich um mehrere Kinder gleichzeitig kümmern muss, beschäftigen sich sogenannte I-Kräfte lediglich mit einem einzigen Kind.
Das Ziel der Inklusion besteht darin, behinderte Kinder nicht auszugrenzen, sondern aktiv in den Kindergartenalltag miteinzubeziehen. Da dies nicht in allen Fällen so einfach ist, kommt ein besonderer Helfer zum Einsatz, der nach einem Antrag 19 Stunden pro Woche zusätzlich das Kind unterstützen kann. Jedes Kind, welches aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung besondere Unterstützung benötigt, soll trotz dieses Defizits möglichst normalen Unterricht bzw. Betreuung erhalten. Eingliederungshilfeleistungen für Kinder und Jugendliche in Westfalen-Lippe können die Eltern oder Personensorgeberechtigten mit dem Grundantrag beim LWL – Landschaftsverband Westfalen-Lippe beantragen. Ausgenommen sind Anträge auf einen Platz in der inklusiven Kita – hier übernimmt die Einrichtung die Antragsstellung. Gemeinsame Gespräche und Entscheidungen mit den Erziehungsberechtigten gelten aber als Voraussetzung dafür. „Wir dokumentieren für alle Kinder in der Kita ihre Entwicklung in einem Portfolio-Ordner, den das Kind beim Ausscheiden aus der Kita in die Schule auch bekommt. Für Kinder mit Förderbedarf wird allerdings noch engmaschiger dokumentiert. Nach einem Aufnahmegespräch gibt es weitere Gespräche über die Entwicklung der Kinder in der Einrichtung. Bei Kindern mit Förderbedarf ist es wünschenswert, wenn beispielsweise auch die Therapeuten in die Gespräche eingebunden sind“, so Britta Schlitter.
Informationen zum Thema Inklusion gibt es natürlich beim Jugendamt, aber auch direkt bei Mitarbeitern in der Kita wie Britta Schlitter.