Gevelsberg/Hattingen -Die Räume wirken freundlich, ja fast wohnlich. Es sieht gar nicht so aus, wie man es sich vorstellt, wenn es zu einer Ausstelle der Kreisverwaltung geht. Und genau das ist auch gewollt. “Wir wollen, dass die Menschen sich bei uns wohlfühlen”, sagt Susanne Auferkorte. “Schließlich gehört es zu unserem Konzept, dass sie sich hier länger aufhalten.” Dabei sieht sich die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (KISS-EN) in Gevelsberg ausdrücklich nur als Ansprechpartner für Selbsthilfegruppen oder Einzelpersonen. Eigene Gruppenangebote machen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Zur KISS können Menschen kommen, die an schweren Krankheiten leiden oder erkrankte Angehörige haben, die sie betreuen. [Nachtrag: Informationen für Angehörige und Freunde finden Sie hier bei RuhrkanaNEWS] Oft gibt es schon eine passende Selbsthilfegruppe, in anderen Fällen unterstützt die KISS-EN bei einer Neugründung. Aber auch bestehende Selbsthilfegruppen können sich an die KISS wenden. Die Koordinierungsstelle kann beispielsweise bei der Suche nach Referenten oder finanzieller Unterstützung helfen. Die KISS-Stelle in Gevelsberg ist eine von drei Anlaufstellen im Ennepe-Ruhr-Kreis. Weitere KISS befinden sich in Hattingen und Witten.
“Wir haben momentan 85 Gruppen, die wir unterstützen”, berichtet Susanne Auferkorte. “Wir betonen in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass wir nicht mit den Gruppen zusammenarbeiten, das würde unserem Anspruch widersprechen.” Denn wie sich eine Selbsthilfegruppe organisiert, bleibt ihr selbst überlassen. Auch über die Aufnahme neuer Mitglieder entscheiden die Gruppen eigenständig. Deshalb kann Susanne Auferkorte auch nicht sagen, wieviele Menschen in den verschiedenen Gruppen sind.
Depression wird wichtigeres Thema
Die Spannbreite der Angebote reicht von verschiedenen Krebsgruppen, über Menschen mit Zwangshandlungen, bis zur Rheuma-Liga. Doch in den vergangenen Jahren wurde das Thema `Depression´ immer bedeutender. Die Frage, ob die Zahl der Betroffenen in gleichen Maße gestiegen ist, kann Susanne Auferkorte nicht beantworten. Sie vermutet, dass die Betroffenen inzwischen einfach offensiver mit ihrer Krankheit umgehen und sich eher nach Hilfen umschauen. Dadurch rücken die Krankheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten mehr in die öffentliche Wahrnehmung. “Die Zahl ist möglicherweise gleich geblieben”, so Auferkorte. “Aber wir stellen fest, dass der Beratungsbedarf in den vergangenen Jahren zugenommen hat.” Aber auf jeden Fall gestiegen ist die Zahl der einsamen Menschen. Ältere, bei denen der langjährige Partner gestorben ist, die keine Kinder haben oder bei denen die Kinder weit entfernt wohnen, wenden sich an die KISS-EN und fragen nach Gruppen. Auch hier hilft Susanne Auferkorte weiter. So wurde bereits eine Gruppe 70Plus gegründet, bei der die Selbsthilfe aus gemeinsamen Freizeitaktivitäten besteht.
Für Betroffene in allen Gruppen ist es oft schon wichtig festzustellen, dass sie nicht alleine sind. Allein die Tatsache, dass die Person die einen Stuhl weiter sitzt, die die gleichen Erfahrungen gemacht hat, baut viele Betroffene wieder auf. Die Hoffnung auf eine weitere Therapiemöglichkeit, auf die der behandelnde Arzt noch nicht gekommen ist, ist zwar vorhanden, aber meistens nicht die Hauptmotivation zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen.
Auch wenn viele Fragen besser beantwortet werden könnten, wenn die KISS mehr über die Menschen wüssten, die sich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenden: Niemand muss irgendwelche persönliche Angaben machen. Selbst der Wohnort wird nicht erfragt. Viele Depressionserkrankte erkundigen sich beispielsweise ganz bewusst nicht in der Nähe ihres Wohnortes. Denn offensiver Umgang hin oder her: “Vor allem psychische Krankheiten sind nach wie vor stigmatisiert”, ist sich Susanne Auferkorte sicher. “Umso wichtiger ist es, dass Menschen in den entsprechenden Selbsthilfegruppen merken, dass sie nicht alleine sind.”
Prinzip KISS: Keine Akten, keine persönlichen Daten, Anonymität gewährleistet
Da bei Anfragen keinerlei persönliche Daten erfasst werden, weiß Susanne Auferkorte auch nicht, wieviele Menschen nach dem Erstgespräch tatsächlich zu einer Selbsthilfegruppe gehen. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen kann der nächste Schritt, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen, einfach (noch) zu groß sein. “Es ist ja auch denkbar, dass sie sich erst bei uns erkundigten und später dann doch an ihrem Wohnort die passende Gruppe finden.” Falls das nicht klappt, da es noch keine passende Gruppe gibt, hilft KISS-EN ebenfalls weiter. Die Koordinierungsstelle startet dann Aufrufe in der örtlichen Presse und unterstützt bei der Gründung einer neuen Selbsthilfegruppe. Aber auch in diesem Fall macht KISS-EN anschließend keinerlei Vorgaben, wie sich die Interessengruppe organisiert und wie sie arbeitet. “Bei Bedarf können wir unsere Räume zur Verfügung stellen oder Kontakte zu Fachleuten herstellen”, beschreibt Susanne Auferkorte ihre Arbeit. “Ärzte sind oft dazu bereit in unseren Räumen Vorträge zu halten und in zwangloser Umgebung Fragen der Betroffenen zu beantworten.” Bei Informationsabenden für Depressionserkrankungen ist der große Seminarraum in Gevelsberg beispielsweise meistens brechend voll. Der Bedarf ist also da und genau das ist der Ansporn für das KISS-EN Team, alle Selbsthilfegruppen so gut wie möglich zu unterstützen. “Aber das machen die KISS Stellen in Hattingen und Witten natürlich genau so gut wie wir”, betont Susanne Auferkorte.
Sie befinden sich in einer akuten Notlage und Ihre Gedanken kreisen darum, sich das Leben zu nehmen? Versuchen Sie mit anderen Menschen über Ihren Notlage zu sprechen. Freunde oder Familie können häufig weiterhelfen. Sollte Ihnen das nicht möglich sein, gibt es Hilfsangebote, die Sie auch anonym wahrnehmen können:
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222. Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist nicht nur kostenfrei, er taucht auch nicht auf der Telefonrechnung auf, ebenso nicht im Einzelverbindungsnachweis. Sie können die Telefonseelsorge auch per Chat erreichen. Dazu müssen Sie sich allerdings einmalig auf der Seite anmelden.
Außerdem gibt es Hilfe der Telefonseelsorge per Mail.
In wirklich akuten Notfällen (drohender Suizid) können Sie sich selbst einweisen oder sich durch Angehörige und Freunde einweisen lassen. Hier hilft der Feuer- und Rettungsdienst (112) oder die Polizei (110).