Hattingen – Selten erlebte man im Hattinger Schöffengericht eine so lange Hauptverhandlung. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte heute (5. März 2025) einen 55-Jährigen, im Zeitraum von einigen Jahren 1.254 Straftaten zum Nachteil eines Hattinger Unternehmens begangen zu haben. Ein Urteil wurde erst nach sieben Stunden Hauptverhandlung mit einem dann anderen Strafmaß verkündet, als es der Staatsanwalt vorher beantragt hatte.
Die Verlesung der Anklageschriften dauerte längere Zeit, schließlich gab es Detailaufstellungen über 1.254 einzelne „Verkaufsaktivitäten“ des Angeklagten, die dieser über eine Verkaufsplattform generiert hatte und die von der Staatsanwaltschaft als Straftaten bewertet und teilweise verlesen wurden.
Der 55-Jährige genoss bei dem Hattinger Unternehmen eine langjährige Vertrauensstellung und war dort auch im Außendienst tätig.
Frühes erstes Teilgeständnis
„Es ist richtig, dass mein Mandant die Gegenstände bei seinem Arbeitgeber, dem Hattinger Unternehmen, entwendet und über die Internet-Verkaufsplattform veräußert hat“, erklärte Rechtsanwalt Doelfs im Namen seines Mandanten. Gleichzeitig zeigten Angeklagter und Strafverteidiger auf, dass sich das Geständnis nicht auf alle aufgeführten Waren bezog, da mehrere Verkaufsgegenstände nicht aus der Hattinger Firma, sondern privat vom Angeklagten stammen würden.
So blieben nach stundenlanger aufwendiger „Detailbewertung“ aller 1.254 Verkäufe des Angeklagten während der Hauptverhandlung durch die Gerichtsparteien noch 898 Fälle der Unterschlagung und 2 Fälle des Diebstahls übrig, die der Angeklagte nach und nach gestand.
Der Geschäftsführer des Hattinger Unternehmens wurde vor 2 Jahren stutzig, als er von einem seiner Lieferanten gefragt wurde, warum er spezielle Ersatzteile, die nachweislich an seine Firma geliefert worden waren, auf einer Verkaufsplattform weit unter Einkaufspreis anbieten würde. Nach umfangreicher Recherche stellte der Hattinger Unternehmer dann erhebliche Fehlbestände in seinem Lager fest, war natürlich nicht Verursacher für den aufgezeigten Verkauf.
„Man denkt ja am Anfang erst ganz anders und überlegt alle „möglichen Varianten“ in der eigenen Firma, wie der Fehlbestand entstanden sein könnte“, sagte der Unternehmer im Zeugenstand, der seinen ermittelten Verlust aufgrund der gegen seine Firma begangenen Straftaten mit über 80.000 Euro bezifferte.
Täter überführt
Nachdem der Hattinger Unternehmer unter Einschaltung eines neutralen Testkäufers davon überzeugt war und nachweisen konnte, dass der Angeklagte Waren aus seinem Unternehmen entwendet und über eine Internetplattform verkauft hatte, erstattete er Strafanzeige und kündigte den Angeklagten fristlos. Der Angeklagte räumte gegenüber dem Hattinger Unternehmer seine Taten dann ein und bedauerte sein Verhalten.
Auch im Gerichtssaal entschuldigte sich der bisher nicht vorbestrafte Angeklagte bei seinem früheren Arbeitgeber und bedauerte noch einmal seine jahrelangen Taten.
Da inzwischen einige der angeklagten Straftaten (mit einem Schadensbetrag von 5.161,00 Euro) schon verjährt waren, bezifferten die drei Richter des Schöffengerichtes den Gesamtschaden zulasten der Hattinger Firma auf 69.726 Euro.
Staatsanwalt beantragte drei Jahre Gefängnis ohne Bewährung
Staatsanwalt Baumgarten zeigte dann in seinem Plädoyer alle für und gegen den Angeklagten sprechende Fakten auf und beantragte bei den Richtern des Schöffengerichtes, für jede der nach seiner Aufstellung nachgewiesenen 953 Straftaten eine Einzelstrafe von je drei bzw. 6 Monaten, je nach Höhe des Verkaufspreises. Alle Einzelstrafen fasste er dann in einer Gesamtstrafe von drei Jahren Freiheitsentzug ohne Bewährung zusammen, die er beantragte, gegen den Angeklagten zu verhängen.
Strafverteidiger plädierte auf Geld- oder Bewährungsstrafe
Strafverteidiger Doelfs kam nach seiner Rechnung auf 905 Fälle, die sein Mandant zu verantworten hatte. Er sah keine grundsätzlich kriminelle Energie bei seinem bisher nicht vorbestraften Mandanten, „bewertete“ die Sicherheitsmaßnahmen bei der geschädigten Firma und zeigte auf, dass die Hemmschwelle bei seinem Mandanten von Tat zu Tat abnahm. Er plädierte für eine Gesamt-Geldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 60 Euro (= 18.000 Euro) bzw. für eine zehnmonatige Freiheitsstrafe, zur Bewährung ausgesetzt.
Schöffengericht verhängte dann Bewährungsstrafe
Nach über einstündiger Beratung verkündete der Vorsitzende Richter Kimmeskamp dann das Urteil des Schöffengerichtes und verurteilte den 55-jährigen Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen 898 Fällen der Untreue zum Nachteil der Hattinger Firma zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Beim Angeklagten soll ein Betrag von 69.726 Euro an Wertersatz eingezogen werden, zusätzlich werden ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zusätzlich muss der Angeklagte 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit ableisten.
Während der Angeklagte noch im Gerichtssaal das Urteil annahm und direkt Rechtsmittelverzicht erklärte, gab Staatsanwalt Baumgarten zum Strafmaß des Schöffengerichtes aktuell keine Erklärung ab.
Der Hattinger Unternehmer erklärte, jetzt noch zivilrechtlich gegen seinen früheren Mitarbeiter vorzugehen, um seinen erlittenen Gesamtschaden ersetzt zu bekommen.