PCB: DROHT BIW DIE SCHLIESSUNG IN ENNEPETAL?

BIW Ennepetal Demonstration (Foto: Pielorz)

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„Die Frist – Donnerstag, 20. Februar, Mitternacht – zur Betriebseinstellung ist verstrichen. Die Produktion bei BIW in Ennepetal läuft weiter (Stand: Freitag, 21. Februar, 11.20 Uhr)“

Ennepe-Ruhr-Kreis- Mittlerweile gibt es zum Thema PCB in Ennepetal Stellungnahmen fast im Stundentakt. Während das Land NRW den Bund auffordert, rechtliche Lücken zu schließen, erklärt der Kreis, den eingeschlagenen Weg der ordnungsrechtlichen Verfügung fortsetzen zu wollen. Das Unternehmen seinerseits informiert Mitarbeiter und Medien über die bisher getroffenen Maßnahmen und verpflichtet sich bis Ende 2020 auf eine komplett PCB-freie Produktion umzustellen. Die Bürgerinitiative will ihren eingeschlagenen Weg weitergehen und beklagt falsche Darstellungen in den Medien.

BIW Ennepetal Emissionsbilanz (Foto: Pielorz)

Das Umweltministerium NRW (MULNV) fordert in Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) den Bund auf, zeitnah eine rechtliche Prüfung und Klarstellung zum Vorkommen von polychlorierten Biphenylen (PCB) aus Anlagen zur Silikonherstellung vorzunehmen. Die derzeit paradoxe Situation: Die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung von PCB ist durch EU-Recht grundsätzlich verboten. Wenn PCB jedoch nicht zielgerichtet hergestellt werden, sondern unbeabsichtigt entstehen, ist die Rechtslage sehr komplex und die Hürde für ein behördliches Eingreifen höher. Deutschlandweit arbeiten zwanzig silikonverarbeitende Firmen nach dem gleichen Verfahren wie die BIW in Ennepetal. In NRW sollen es zwischen fünf und acht Unternehmen sein, die mit dem chlorhaltigen Vernetzer im Produktionsprozess arbeiten. Auch in Witten, im Gewerbegebiet Rüdinghausen, soll es eine Firma mit vergleichbaren Problemen geben. Dabei handelt es sich um den Siliconverarbeiter Sico mit sechzig Beschäftigten. Ralf Skoda, Geschäftsführer der betroffenen Firma, erklärte, Messungen von sich aus veranlasst zu haben. Anwohner haben sich schon vor acht Jahren über Geruchsbelästigungen beschwert. Ob diese allerdings überhaupt im Zusammenhang mit PCB oder der Firma selbst stehen, ist offen. 

BIW Ennepetal neuer Vernetzer (Foto: Pielorz)

Obwohl alle mit der Bezirksregierung vereinbarten zusätzlichen Arbeitsschutzmaßnahmen – wie zum Beispiel betrieblich gestellte und gereinigte Arbeitswechselkleidung oder punktuelle Maschinenabsaugungen – in Ennepetal bei BIW erfolgreich umgesetzt wurden und die Bezirksregierung deshalb den für heute angekündigten Termin mit dem Unternehmen mangels Gesprächsbedarf absagte, droht der Landrat des EN-Kreises, Olaf Schade, nach wie vor mit der Untersagung des alten chlorhaltigen Vernetzers. Das würde die sofortige Schließung des Werkes in Ennepetal mit 600 Arbeitsplätzen bedeuten. Vor zwei Wochen, so der Kreis in einer Pressemitteilung, habe man dies dem Unternehmen bereits mitgeteilt, falls man zu dem Ergebnis komme, die bisherigen Maßnahmen von BIW seien nicht ausreichend. Teil dieses Verfahrens ist die Anhörung, die dem Unternehmen am Mittwoch, 19. Februar zugestellt worden ist. Darin wird als Frist für weitere technische Vorschläge zum verlässlichen Verhindern von Flocken Donnerstag, 20. Februar, 24 Uhr genannt. Die Kürze der Frist begründet der Kreis damit, dass das Unternehmen bereits in einem Termin am 5. Februar Gelegenheit hatte, seine Position und Vorschläge darzulegen. 

Die Geschäftsführung von BIW reagiert fassungslos: Aktuellste Messergebnisse belegen: Die innerbetrieblichen Belastungen liegen unterhalb des Interventionswertes von 3.000 Nanogramm pro m³ Luft am Arbeitsplatz und konnten um mehr als die Hälfte auf 1.070 ng im Bereich der belasteten Produktionsprozesse gesenkt werden. In Bereichen außerhalb der Produktion liegt man mit 193 ng sogar deutlich unter dem Unbedenklichkeitswert von 300 ng pro m³ Luft. Seitens des Arbeitsschutzes, angesiedelt bei der Bezirksregierung, und auch seitens der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie gibt es also weiterhin „grünes Licht“ für die BIW Produktionsstätten am Standort Ennepetal Oelkinghausen. Zwei öffentlich zugelassene Prüfinstitute hatten im Innenbereich des Unternehmens gleichermaßen Entwarnung gegeben mit aktuellsten Messwerten. Ergebnis war, dass weder Grenzwerte erreicht noch überschritten werden. Auch das Biomonitoring von 44 BIW- Mitarbeitern durch die RWTH Aachen wurde inzwischen ausgewertet. Fakt ist demnach, dass die Gesamtbelastung mit allen PCB Arten bei den BIW Mitarbeitern nicht nur deutlich unter denen der Vergleichsgruppen lag, sondern auch die maximale Belastung, die bei BIW festgestellt werden konnte, liegt nur etwa bei der Hälfte dessen, was in der betreffenden Altersgruppe üblich ist. Das Unternehmen macht gemeinsam mit seinen Juristen deutlich, dass es in den PCB-Belastungen große Unterschiede zwischen den gefundenen Festpartikeln (feste Abplatzpartikel von einem Kamin) und den aufgetauchten wasserlöslichen Flocken gäbe. Außerdem arbeitet die BIW-Geschäftsführung mit dem gesamten Team an der Modifikation der Prozesse durch Einsatz chlorfreier Vernetzungssysteme. 25 Prozent der Fertigung läuft bereits heute mit dem neuen Vernetzer. Bis zum Jahresende werden es alle Produktionen sein. Sollten Produktionen nicht auf den neuen chlorfreien Vernetzer umzustellen sein, wird sich das Unternehmen von diesen Kunden trennen. Bereits teilweise geschehen ist der Einsatz neuester Abluftreinigungs- und Filtertechniken, mit denen Emissionen minimiert werden sollen. 

BIW Ennepetal Geschäftsführung (Foto: Pielorz)

Das Unternehmen macht aus seiner Sicht deutlich, was eine Untersagung des bisherigen Vernetzers bedeutet. Es käme nicht nur zu einem Aus für 600 Arbeitsplätze, eine Insolvenz des Unternehmens drohe ebenso wie der europäische Zusammenbruch systemrelevanter Lieferketten im Bereich der Automobil-, Flugzeug und Medizinindustrie. Mitarbeiter von BIW demonstrierten wenige Stunden vor Verstreichen der Frist für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes. Der Rechtsanwalt des Unternehmens macht deutlich: Sollte es eine Verfügung geben, die den sofortigen Produktionsstopp nach sich zieht, wird ohne Verzögerung das Verwaltungsgericht in Arnsberg eingeschaltet. Dies sei bereits auf dem laufend aktualisierten Stand. Es gelte dann eine Zwischenverfügung zu erwirken, die eine aufschiebende Wirkung habe, um die Produktion wieder aufnehmen zu können. 

Auch die Bürgerinitiative meldet sich zu Wort und sieht sich falsch dargestellt. Es habe nur ein Angebot zur Betriebsbegehung gegeben. Dieses habe man abgelehnt, weil man in den Behörden, nicht im Unternehmen den richtigen Ansprechpartner sehe. Während der ersten Bürgerversammlung habe BIW durch Ralf Stoffels Vortragsrecht bekommen, die Bürgerinitiative aber kein Rederecht. Außerdem verweist die Bürgerinitiative darauf, dass es keine Einzeluntersuchungen gibt, die eine besondere Gefährlichkeit von PCB 47 nachweisen, aber eben auch keine Ungefährlichkeit. PCB sei ja insgesamt gefährlich. 

Professor Dr. Klemes Störtkuhl, Biologe und Vorsitzender der Mittestands- und Wirtschaftsvereinigung Ennepe-Ruhr kritisiert Landrat Olaf Schade und sieht durch den Aktionismus hunderte Arbeitsplätze und den Industriestandort Ennepe-Ruhr in Gefahr. 

Für morgen, Freitag, 21. Februar, hat die Bürgerinitiative zu einer Demonstration aufgerufen, die um 17.15 Uhr am Haus Ennepetal enden soll. Um 18 Uhr findet dort eine Bürgerversammlung statt. Das Unternehmen BIW hat nicht zu einer Demonstration aufgerufen, wohl aber seine Mitarbeiter zur Teilnahme an der Bürgerversammlung ermutigt.