GEHÖRLOS IN CORONA-ZEITEN

Ulrike Tenbensel und Bärbel Brinkert von den "Löffelboten" (Foto: Pielorz)

Hattingen- Gehörlose, Ertaubte und Schwerhörige haben es in unserer Gesellschaft nicht gerade leicht. Sie müssen ohne Worte mit anderen Menschen kommunizieren. Oft geschieht dies über die Gebärdensprache oder andere non-verbale Möglichkeiten. Allerdings: Wichtig ist für Menschen mit Hörschwierigkeiten und für Gehörlose die Optik des Mundes beim Gegenüber. Sie brauchen das Lippenlesen. In der Corona-Krise stellt das aufgrund der Maskenpflicht für rund 80.000 Gehörlose 300.000 hochgradig schwerhörige Menschen ein großes Problem dar.

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Gebärdensprachen sind visuell wahrnehmbare Sprachen, die von frühschwerhörigen bzw. gehörlosen Menschen genutzt werden. Gebärdensprachen entstehen aus dem Zusammenspiel von Handzeichen, Körperhaltung, Mundbild und Mimik. Es sind vollwertige Sprachen mit umfassendem Vokabular und einer eigenen Grammatik, die sich grundlegend von der Laut- und Schriftsprache unterscheidet. In Deutschland wird die Deutsche Gebärdensprache (DGS) angewendet. Sie wurde auf Bundesebene 2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) als eigenständige Sprache anerkannt. Viele Gehörlose können zudem Lippenlesen. Dabei ist es wichtig, dass die Lippen deutlich bewegt werden – und dass man sein Gegenüber ansieht. Wenn beim Sprechen der Kopf abgewendet wird, ist das Lippenlesen nicht mehr möglich. Der Gehörlose deutet beim Lippenlesen das Mundbild. 

Anja Pielorz im Gespräch mit Ulrike Tenbensel (Foto: RuhrkanalNEWS)

Ulrike Tenbensel ist seit dem 3. Lebensjahr hochgradig schwerhörig und ertaubte später auf beiden Ohren. Viele Jahre später entschied sie sich 2012 und 2014 für eine Operation und wurde CI-Trägerin. Mit dem sogenannten Cochea-Implantat konnte sie 2014 erstmalig auf beiden Ohren hören. Das neue und sehr mechanische Hören musste sie allerdings erst lernen. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen mit Schwerhörigkeit und Taubheit weiß sie, wie schwierig die Corona-Krise und die Maskenpflicht für Betroffene ist. „Wir sind darauf angewiesen, den Mund zu sehen, um von den Lippen abzulesen. Das Lippenlesen ergänzt die Funktion eines Hörgerätes oder anderer Verständigungsmethoden. Das klappt in der Corona-Krise aber nur bei einem Mundschutz mit durchsichtiger Folie. Außerdem wissen die meisten Menschen nicht, dass auch bei Anwendung der Gebärdensprache das Lippenlesen eine wichtige Ergänzung darstellt.“

Die Hattingerin ist Sprecherin der „Löffelboten“. „Wir sind eine Selbsthilfegruppe für Schwerhörige, Ertaubte, Taubblinde und CI-Träger/innen in Hattingen, Sprockhövel und Umgebung. Wir haben uns 2007 zusammengefunden, um die Folgen der Hörbehinderung gemeinsam zu erleben, zu diskutieren und um Strategien zu finden, mit der Hörschädigung besser klar zu kommen und der Hörbehinderung mehr Akzeptanz zu verschaffen“, erklärt sie. Ihr zur Seite steht Bärbel Brinkert. Auch sie trägt Implantate nach Operationen 2008 und 2012. Sie ergänzt: „Wir setzen bei unseren Gruppentreffen und öffentlichen Veranstaltungen und Diavorträgen unsere Funkmikrofonanlagen ein und stellen sie allen hörbehinderten Menschen zur Verfügung, damit auch sie das gesprochene Wort wieder nicht nur hören können sondern auch verstehen.“ Doch diese Veranstaltungen finden aktuell natürlich nicht statt. Elektronische Medien ersetzen so gut es geht eine Beratung. „Für Gehörlose ist es in der Regel unmöglich, sein Gegenüber zu verstehen, wenn der Mund bedeckt ist. Sie sind von ihrer Kommunikation abgeschnitten und verstummen in der Corona-Krise auf ihre eigene Art und Weise“, so Ulrike Tenbensel. 

Interview mit Ulrike Tenbensel

Ihr ist es wichtig, auf die Probleme hinzuweisen. „Gehörlose und Ertaubte müssen ihr Gegenüber bitten, den Mundschutz abzunehmen. Das Problem haben wir beispielsweise bei Ärzten auch schon vor der Corona-Pandemie gehabt. Jetzt, wo es Pflicht ist, an vielen Orten Masken zu tragen, ist das natürlich viel schlimmer geworden. Es ist aber leider ein Thema, das viele Menschen gar nicht kennen.“ 

Die Schwerhörigen und Ertaubten sind übrigens nicht die einzigen Menschen, für die das Abdecken des Mundes mit undurchsichtigen Masken Probleme macht. Auch für Autisten ist das Nichtsehen des Mundes schwierig. Sie kommunizieren ebenfalls oft mittels Gebärdensprache, weil sie das Sprechen an sich in bestimmten Situationen oder zu bestimmten Zeitpunkten schlicht als so unangenehm empfinden, dass sie es vermeiden möchten. Die häufig bei Menschen aus dem Autismus-Spektrum vorkommende Abneigung gegen Lärm ist ein weiterer Pluspunkt für die Gebärdensprache. Sie ist eine lautlose Alternative zur verbalen Sprache. Doch auch diese Menschen benötigen das Gesicht und vor allem die sichtbare Mundpartie zur Verständigung. 

Abhilfe gibt es derzeit nur über die Masken mit durchsichtiger Folie. Die Kontakte der Gehörlosen sind ohnedies eingeschränkt. In Zeiten der Corona-Pandemie fehlen sie aber fast völlig.

Kontakt: http://www.loeffelboten.de/