Hattingen – Wenn ein sperriges Wort Herzen öffnet. Interreligiöses – ein Wort mit 15 Buchstaben und sieben Silben. Es stockt im Lesefluss, zwingt dazu, kurz innezuhalten. Man stolpert nicht nur sprachlich, sondern bleibt auch gedanklich hängen: Was heißt das eigentlich – interreligiös? Was bedeutet es, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen sich zusammentun, um gemeinsam für den Frieden zu beten?
Seit nunmehr zehn Jahren gibt es in Hattingen das Interreligiöse Friedensgebet. Zehn spirituelle Abende an wechselnden Orten: in Kirchen, Moscheen, Schulaulen. In diesem Jahr lud die St.-Georgs-Kirche am 16. November 2025 ein – ein vertrauter Ort für viele, und doch an diesem Abend anders als sonst: vielfältiger, bunter, hörbar und sichtbar geprägt von unterschiedlichen Traditionen.
Wer aufmerksam zuhört, merkt schnell: So verschieden die Religionen, so ähnlich ihre Sehnsucht. Die Worte mögen andere sein, die Bilder aus anderen Kulturkreisen stammen – das Ziel bleibt erstaunlich gleich: Frieden, Respekt, ein würdiges Leben für alle Menschen. Die Wege dorthin werden unterschiedlich beschrieben, doch die Richtung stimmt überein.
Besonders eindrücklich ist das, wenn Gebete gesungen werden. In vielen Religionen trägt die Melodie das gesprochene Wort. Tonlagen, Phrasierungen, der Rhythmus der Silben – all das macht erfahrbar, wie verschieden Glaubenskulturen klingen. In den Übersetzungen aber finden viele Besucher dieselben Gedanken wieder, die ihnen aus ihrer eigenen Tradition vertraut sind. Für manche ist es überraschend zu hören, dass in einer Sure des Korans bedeutende Propheten aus dem Alten Testament respektvoll erwähnt werden – eine Verbindung, die im Alltag häufig übersehen wird.
Fotostrecke © ruhrkanalNEWS (Fotos: Holger Grosz)
Musikalisch getragen wurde der Abend von dem Gospelchor „Part of Paradise“ und der Band „Taktvoll“. Sie schufen einen Klangteppich, auf dem die Beiträge der verschiedenen Religionsgemeinschaften Platz fanden:
Buddhismus durch Jens Güntner,
Islam durch Imam Giyasettin Kurkutata und Betül Kaya als Übersetzerin,
die Baha’i-Gemeinde vertreten durch Isolde Füllbeck,
Hinduismus durch Kandia Sivakumar,
Judentum durch Rabbiner Andres Bruckner,
und das Christentum durch Pfarrer Bodo Steinhauer (evangelische Kirche) und Pastoralreferent Dr. Benedikt Poetsch (katholische Kirche).
Sie alle brachten ihre Friedensgebete, Segensworte und Texte ein – ohne Wettbewerb, ohne Dominanz, sondern sichtbar im gemeinsamen Bemühen, Brücken zu bauen.
Zum Schluss füllte sich der Kirchenraum noch einmal ganz besonders mit Gemeinschaft: Entlang der Wände bildeten alle einen großen Kreis, reichten sich die Hände und sangen gemeinsam „We Shall Overcome“. Ein Lied, das längst zu einer Art Welt-Sprache für Hoffnung geworden ist – an diesem Abend verbunden mit vielen unterschiedlichen „Religionssprachen“, aber einem gemeinsamen Wunsch.
Nachdem Pfarrer Bodo Steinhauer sich im Schlusswort bei Gästen und Mitwirkenden bedankt hatte, drehte sich die Situation kurz um: Eine Besucherin griff zum Mikrofon und bedankte sich bei ihm. Eine weitere nutzte die Gelegenheit, um Judith Nockemann für ihr Engagement zu danken. Momente, in denen deutlich wird: Dankbarkeit und Wertschätzung sind selbst eine Form von Friedensarbeit.
Im Anschluss blieb die St.-Georgs-Kirche noch lange gut gefüllt. Schülerinnen und Schüler der Realschule Grünstraße verteilten gebackene „Friedensplätzchen“ – kleine Friedenstauben aus Teig, die genauso liebevoll gestaltet waren wie die Begegnungen, die sich in den Gängen und zwischen den Bänken ergaben. Man kam ins Gespräch, begrüßte sich herzlich, stellte Fragen, hörte zu.
Vielleicht ist es am Ende genau das, was dieses lange, sperrige Wort „interreligiös“ in Hattingen bedeutet: nicht nur ein gedankliches Konzept, sondern gelebte Praxis. Menschen, die einander zuhören, Unterschiede aushalten und Gemeinsamkeiten entdecken. Zehn Jahre interreligiöses Friedensgebet zeigen: Frieden beginnt nicht erst in großen Konferenzen – er beginnt dort, wo Menschen miteinander im Gespräch bleiben.






























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