Hattingen – Untermarkt, 23. September 2025. Gewalt gegen Frauen lässt sich nicht mit Jubelbildern erzählen. Sie bleibt leise, unsichtbar, schambesetzt. Und doch muss sie sichtbar werden – auch wenn es weh tut. Auch wenn viele lieber vorbeigehen, den Blick senken, so tun, als ginge es sie nichts an.
Am Dienstagnachmittag spannten sich zwischen zwei Bäumen auf dem Untermarkt vier Reihen DIN-A4-Plakate. 101 an der Zahl. 101 Frauen. 101 Morde. Nicht irgendwo, sondern hier. In Deutschland. Getötet von Partnern, Ex-Partnern, von Männern, die meinten, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen. Jede Seite Papier ein stiller Schrei. Eine Mahnung. Eine Erinnerung. Ein Name.
Unsichtbare Betroffene
Vorbeigehende riskieren flüchtige Blicke, manche stellen Fragen, wenige bleiben stehen. Betroffene selbst gehen schweigend vorbei, oft kaum sichtbar, und gerade darin liegt die Tragik: Gewalt an Frauen geschieht mitten unter uns – und bleibt doch im Verborgenen. „Solche Infoveranstaltungen schaffen Öffentlichkeit, auch wenn sie nur einen kleinen Bereich erreichen. Deshalb sind sie wichtig – und sollten viel häufiger stattfinden“, sagt eine Besucherin leise.
Aufhängen der Plakate – Pia Korten mit ihren Musikalischen Part – Lisa Zumbusch und Stephanie Kattenborn © RuhrkanalNEWS (Fotos: Holger Grosz)
Musik, Stimmen, Fakten
Wie schon im Mai in Blankenstein übernahm Pia Korten den musikalischen Part – mit sorgfältig ausgewählten Songs, die Trost spenden, ohne zu beschönigen. Für den inhaltlichen Schwerpunkt sorgte Lisa Zumbusch im Gespräch mit Stephanie Kattenborn von der Frauenberatungsstelle. Kattenborn machte deutlich: Femizide sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines Systems, das Frauen entmenschlicht.
Von Blankenstein zum Untermarkt
Die Plakataktion „Femizide“ hat ihren Weg von Blankenstein in die Innenstadt gefunden – trotz Widerständen. In Blankenstein waren Plakate mehrfach abgerissen und entfernt worden. Am Untermarkt hängen sie nun optimiert, geordnet in vier Reihen – unübersehbar und doch schwer anzusehen. Geplant und durchgeführt wurde die Aktion von Lisa Zumbusch gemeinsam mit Katrin Brüninghold, der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Hattingen.
Erfolg, der sich nicht in Zahlen messen lässt
Gut ein Dutzend Menschen waren bei der Eröffnung dabei. Aber der Wert solcher Veranstaltungen liegt nicht in Besucherzahlen. Dass sie stattfinden, dass Namen und Schicksale nicht verschwinden, dass am 25. November – dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen – eine weitere Aktion folgt: Das allein ist schon ein Erfolg.
Denn Schweigen war nie eine Lösung.
Tolle Aktion, brauchen wir öfter, auch hier in Niedersprockhövel und in Haßlinghausen, denn auch hier gibt es Gewalt gegen Frauen!
„Gewalt gegen Frauen“ gipfelt in erschreckender Weise sehr häufig im geplant ausgeführten Mord. Dies kommt weitaus häufiger vor im häuslichen, innerfamiliären Bereich als außerhalb des familiären „Schutzes“. Es ist auf gar keinen Fall nur ein Problem in ausländischen Kulturen. Natürlich ist es auch ein deutsches Problem, nach Kontrolle und Macht in allen Bereichen zu gieren, gerade, wenn es die nächsten Angehörigen betrifft. Den künstlerischen Rahmen gestaltete Pia Korten mit Songs von Tracy Chapman „Behind the wall“ (a cappella) oder Suzanne Vega „Luka“. Der Song „Luka“ lenkt den Blick auf Kinder, die ja ebenfalls oft Opfer häuslicher Gewalt sind. Es ist bedauerlich, dass nur recht wenige Menschen der Aktion ihre Aufmerksamkeit schenkten. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn die Veranstaltung in einem geschlossenen Raum wiederholt werden könnte, in einer Kirche, einer Bibliothek, einer Schule.
Vielen Dank, lieber Holger, für Deinen großartigen Text und die schönen Fotos. Du findest wirklich immer die richtigen Worte und sorgst dafür, dass so wichtige Themen wie dieses auch die nötige Aufmerksamkeit bekommen. Wie gut, dass wir so einen Fotojournalisten wie Dich in Hattingen haben.
Vielen Dank auch an Lisa, Katrin und Stephanie für euer wertvolles Engagement – das unterstütze ich immer wieder gerne!
Schade, dass dieses wichtige Thema nicht mit der gebotenen Tiefe und Gründlichkeit bearbeitet wurde (auf den Bildern und im Text ist dieses für mich nicht erkennbar). Die PKS wäre als Basis da hilfreich gewesen. Wer hier konkret wird, also NICHT über die Ursachen schweigt, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, Hass und Hetze zu verbreiten.