TELEGRAM VERKOMMT ZUR PLATTFORM FÜR HETZER

Telegram im Google-Store (Screenshot: RuhrkanalNEWS)

Hattingen- Was als Messenger für Menschen startete, die ihre Privatsphäre schätzen und die eine Alternative zu damals noch unverschlüsselten Diensten wie WhatsApp und Facebook-Messenger suchten, ist inzwischen zu einer Plattform verkommen, die häufig für Aufrufe zu Mord, Totschlag und Vergewaltigung missbraucht wird. Ein Kommentar von Frank Strohdiek

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Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite finde ich es gut, wenn es im Netz Dienste gibt, die sich gegen Zensur stellen. Es gibt genügend Länder, in denen eine freie Presse nicht vorhanden ist, in denen eine unbedachte Äußerung bereits im privaten Bereich mit Gefängnisstrafen oder schlimmeren enden können. Deshalb ist der Ansatz des Messengerdienstes Telegram durchaus zu begrüßen. Auf der anderen Seite gibt es Regeln, die universell und weltweit Konsens sind bzw. sein sollten. Dazu gehört, dass niemand ungestraft seine Mitmenschen bedrohen oder gar angreifen darf, dass Mord und Vergewaltigung zurecht strafbar sind. Das sind so allgemeingültige Regeln, dass auch ein Messengerdienst sich dem nicht verweigern darf.

In einer Telegram-Gruppe wird über eine erfundene Anzeige fabuliert, die es nie gegeben hat (Screenshot: RuhrkanalNEWS)

In den vergangenen Monaten wurde Telegram zunehmend von Menschen gekapert, die in Gruppe und Kanälen ungehemmt eben genau diese Taten propagieren, ungehemmt ihre Gewaltfantasien ausleben und immer wieder Falschnachrichten verbreiten. Eine gern genommene Erzählung in diesen Kanälen ist beispielsweise die Mär, dass man in Deutschland in einer Diktatur lebe und nicht sagen könne, was man denke. Dabei verkennen die Erzähler dieser Legende, was eine Diktatur wirklich bedeutet. Sie müssten nur mal nach Belarus, Russland oder Kasachstan gucken, um die Unterschiede zu erkennen. Selbst in Polen oder Ungarn, wo die freie Presse zunehmend unter Druck gerät, kann man bisher noch nicht von einer Diktatur reden. Die Erzähler verwechseln Meinungsfreiheit damit, dass ihnen bei ihren Falschaussagen niemand widersprechen darf, weil es ja ihre Meinung sei, die gefälligst jeder zu respektieren und damit hinzunehmen habe.

Gerne wird in den entsprechenden Kanälen auch gegen die „Mainstream-Medien“ oder „System-Medien“ gehetzt. Vor allem der zweite Ausdruck hat in Deutschland eine unheilvolle Vergangenheit und seinen Ursprung in den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Vielen mag das nicht bewusst sein, andere setzen diese Begriffe ganz bewusst ein. Ziel dieser Lügen und Verunglimpfungen ist es, das vertrauen in die Demokratie, staatliche Institutionen und die freie Presse zu untergraben. Dabei ist es den Erfindern der Lügenmeldungen völlig egal, ob sie widerlegt werden oder nicht. Sie handeln nach dem Motto „Es wird schon was hängen bleiben“. Sie machen sich deshalb meistens noch nicht mal die Mühe, ihre Aussagen in irgendeiner Weise zu belegen oder zu verteidigen. Das gilt auch für eine angebliche Anzeige, die RuhrkanalNEWS gestellt haben soll. Diese Anzeige hat es allerdings nie gegeben.

Im Nachgang zu den Falschmeldungen und Lügen werden (Lokal-)Politiker, Behördenvertreter und Presseleute (alle m/w/d) von den Nutzern dieser Kanäle gerne in Wort und Schrift beleidigt und bedroht. Es gibt Politiker und Presseleute, die inzwischen beschützt werden müssen. Alles, weil es Menschen gibt, die glauben, sie seien im Besitz der absoluten Wahrheit, da sie Telegram-Kanäle als ernsthafte und seriöse Nachrichtenquelle betrachten. In Hattingen ist mir und der Redaktion noch nicht bekannt, dass es zu konkreten Bedrohungen gekommen ist. Aber dass in einigen Kanälen Lügen über lokale Politiker oder Medien verbreitet werden, habe wir schon mehrfach erfahren. Auch hier ist es ganz offensichtlich das Ziel, Vertrauen zu zerstören oder Angst vor angeblicher Zensur zu schüren.

Telegram und der Unwillen Gewaltaufrufe, Falschmeldungen und Angriffe auf demokratische Institutionen zu unterbinden, sind für unsere Demokratie gefährlicher, als alles was ich mir von staatlicher Seite vorstellen kann. Vor allem weil viele Nutzer der Kanäle sich inzwischen in einer Infomationsblase bewegen, die Faken oder andere Sichtweisen gar nicht mehr zulassen. Dabei müssen sie doch nur, ganz Oldschool und analog, mal an einen Zeitungskiosk gehen und sich angucken, wie unterschiedlich die Blätter über Corona und die Schutzmaßnahmen berichten. Wer tatsächlich glaubt, in einem so großen Haus wie beispielsweise dem WDR, mit so diversen Ansichten und politischen Standpunkten, könne eine Verschwörung mit angeordneter gleichgeschalteter Berichterstattung geheimgehalten werden, hat überhaupt keine reale Vorstellung davon, wie Pressearbeit in Deutschland funktioniert. Dann wird dieser satirische Bericht bei RuhrkanalNEWS auch für eine reale Beschreibung gehalten.

PS
Wer erfahren möchte, wie es in einer Dikatur zugeht, sollte sich diese sehenswerte ARD-Dokumentation in der Mediathek anschauen.