QUO VADIS CDU?

Unterstützer 2015: Steffi Blenick, Dr. Ulrike Brauksiepe CDU, Klaus Fister CDU, Tönnies Meyerhoff-Rösener DIE GRÜNEN, Gerd Nörenberg CDU, Brigitte Serrano DIE GRÜNEN, Robin Thiele FDP (Foto: RuhrkanalNEWS)

Ein Kommentar von Anja Pielorz

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Die Hattinger Parteien bringen sich so langsam mit ihren Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Stellung. Die Sozialdemokraten beendeten als erstes alle möglichen Spekulationen und zogen die rote Karte. Es dürfte ziemlich klar sein, dass der Kandidat nach der üblichen Tour durch die Ortsverbände Frank Mielke heißen wird – so wie es der erweiterte Vorstand der SPD auch einstimmig vorgeschlagen hat.

Nun ist die CDU am Zug. Wenn sie Amtsinhaber Dirk Glaser erneut unterstützt, dann stellt sie sich erneut hinter einen Kandidaten ohne CDU-Parteibuch. Das mag für den ein oder anderen Christdemokraten ungewöhnlich sein, problematisch ist das nicht. Was ich allerdings etwas erstaunlich finde: man erinnere sich an den April 2019. Da stimmten die Stadtverordneten in namentlicher Abstimmung über die Übertragung des Kanalnetzbetriebes an den Ruhrverband ab. Eine „Jahrhundertabstimmung“ wurde sie genannt, spülte sie doch 110 Millionen Euro in die Stadtkasse und ist damit der Garant für die überschuldete Kommune, auf einen Schlag fast alle Kassenkredite los zu werden. Möglich geworden war dies durch eine Änderung des Landeswassergesetzes 2016 durch die Landesregierung. Danach können verbandsangehörige Kommunen die Aufgabe des Sammelns und Fortleitens von Abwasser wieder dem sondergesetzlichen Wasserverband übertragen, bei dem sie Mitglied sind. Mit der Übertragung der Aufgabe geht auch das wirtschaftliche Eigentum am Kanalnetz auf den Verband über. Dafür zahlt der Verband der Kommune einen Ausgleichsbetrag. Die Kosten für den Betrieb des Kanalnetzes (Personalkosten, Materialkosten, Kapitalkosten) stellt der Verband der betroffenen Kommune als Sonderbeitrag in Rechnung.

SPD, Grüne und FDP stimmten dafür – die CDU, Linke und Linke-Piraten stimmten dagegen. Ihnen war der Deal zu unsicher, die Risiken für sie nicht absehbar. Der parteilose Bürgermeister Dirk Glaser stimmte ebenfalls für die Übertragung der Nutzungsrechte auf den Ruhrverband. Seit fast dreißig Jahren soll es im Hattinger Stadtrat keine namentliche Abstimmung mehr gegeben haben – doch dieses Thema schien zu wichtig und die Konsequenzen zu bedeutend, als dass man sich hier mit einem schlichten Handzeichen begnügen mochte. Und das ist etwas, was ich schwer begreife: Wenn diese Entscheidung tatsächlich von solcher Tragweite ist und die daraus entstehenden Konsequenzen so bedeutsam für die Zukunft sind, wie können die Christdemokraten dann einen Bürgermeister unterstützen, der genau gegenteilig zu ihrem eigenen Abstimmungsverhalten mit „Ja“ stimmte? Ich kann die Entscheidung des Bürgermeisters im April 2019 gut nachvollziehen – für eine Entscheidung der CDU in dieser Personalie fehlt mir aktuell noch die Fantasie.

Der Soziologe Max Weber schrieb vor gut 100 Jahren zum Thema „Politik als Beruf“ dies: „Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre. Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß. Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit: leidenschaftliche Hingabe an eine Sache (…) Denn mit der bloßen, also noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer Sache, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum Leitstern des Handelns macht. Und dazu bedarf es – und das ist die entscheidende psychologische Qualität des Politikers – des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen, also der Distanz zu den Dingen und Menschen.“