KEINE WEICHGESPÜLTE SITZUNG! – DER KOMMENTAR

Der RuhrkanalNEWS-Kommentar (Grafik: RuhrkanalNEWS)

Ein Kommentar von Dr. Anja Pielorz und Frank Strohdiek

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Um die Gesundheit der Anwesenden bei Ratssitzungen zu schützen, schlägt Bürgermeister Dirk Glaser den Stadtverordneten vor, Entscheidungsbefugnisse des Rates auf den Haupt- und Finanzausschuss (HFA) zu übertragen. Der HFA hat nur 19 Mitglieder, der Rat 47. Bis zum 21. April müssen die Ratsmitglieder jetzt dazu eine Entscheidung treffen. Dazu bedarf es einer 2/3 Mehrheit. 

Bürgermeister Dirk Glaser (Foto: RuhrkanalNEWS)

Das Stadtoberhaupt stützt seine Vorgehensweise auf das neue Epidemiegesetz, welches die Landesregierung NRW gerade eben verabschiedet hat. Demnach ist es rechtlich zulässig, in Krisenzeiten so zu verfahren.  

Das wir uns in einer Krise befinden, dürfte unstrittig sein. Ebenso die Tatsache, dass diese rechtliche Möglichkeit besteht. Strittig ist aber die Frage der Verhältnismäßigkeit einer solchen Entscheidung. Denn auch in Krisenzeiten muss abgewogen werden. Die Stadtverordnetenversammlung ist das Hauptorgan der Stadt. Sie ist die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger und entscheidet über die grundlegenden Entwicklungen einer Stadt in allen Bereichen. Die Mitglieder der Versammlung sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Sie entscheiden allein nach ihrem Gewissen. Die Größe eines Stadtrates ist abhängig unter anderem von der Einwohnerzahl der Gemeinde. Hier hat niemand gewürfelt, um die Zahl der Abgeordneten zu bestimmen. Es ist ein tiefer Eingriff in demokratische Prinzipien, Entscheidungsbefugnisse vom höchsten Gremium einer Stadt auf einen – wenn auch wichtigen – Ausschuss übertragen zu wollen. 

Zudem: Der HFA hat zwar 19 Mitglieder, aber stimmberechtigt sind nur 18 von ihnen. Gunnar Hartmann (Linke-Piraten) ist nur beratendes Mitglied. Die 47 Ratsmitglieder sind selbstverständlich alle stimmberechtigt. Alles nachzulesen auf der offiziellen Seite der Stadt Hattingen. Bei 18 stimmberechtigten Mitgliedern könnten Entscheidungen auch – zumindest theoretisch – in ein Patt laufen.  

Hintergrund für diese Debatte ist die Corona-Krise. Es ist unstrittig, wie wichtig Vorkehrungen für die Gesundheit – die eigene wie die der anderen – sind. Aber wir leben in einem digitalen Zeitalter. Wir führen über große Entfernungen Videokonferenzen durch. Bürgerversammlungen zum Thema PCB wurden in Ennepetal von einem Saal in das Foyer übertragen – nicht wegen Corona. Das Virus war damals noch nicht in aller Munde, sondern es geschah, weil die Anzahl der Teilnehmer so groß war. Technisch hat das wunderbar funktioniert. Wir reden über Bewegungsprofile, über Tracking, über Drohnen, über Apps, die den Infektionsverlauf zuverlässig nachvollziehen können. Und wir reden NICHT über so etwas Simples wie die technische Umsetzung einer Ratssitzung mit 47 Personen unter Wahrung der gesundheitlichen Schutzmöglichkeiten? Stattdessen kappen wir – weil rechtlich theoretisch möglich – die Kompetenzen des wichtigsten Gemeindeorganes? Wir nehmen einem Mitglied das Stimmrecht in der Stadtverordnetenversammlung und schicken es in die beratende Warteschleife – einfach deshalb, weil es eben einfacher ist?

Wir sind in diesen Tagen schnell dabei, demokratische Grundrechte weichzuspülen. Das ist gefährlich. Vor allem dann, wenn es ohne Not geschieht. Die Corona-Krise muss für vieles herhalten, aber sie darf nicht dazu führen, Grundsätzliches auszuhebeln. Um die Gesundheit zu schützen und die Stadtverordnetenversammlung in Gänze zu erhalten, muss eine andere Lösung gefunden werden. 

2 Kommentare zu "KEINE WEICHGESPÜLTE SITZUNG! – DER KOMMENTAR"

  1. Bernd Loewe | 16. April 2020 um 9:50 |

    Ein gut gemeinter, aber „haarige“ Vorgehensweise. Als Alternative könnte man doch die Ratssitzungen in der Gebläsehalle stattfinden lassen. Dort ließen sich Abstandsregeln problemlos einhalten. Wo ein Wille ist, lässt sich Demokratie auch in diesen Zeiten leben.

  2. Dr. Anja Pielorz | 16. April 2020 um 11:35 |

    Herr Loewe, ganz genau in eine solche Richtung muss das gehen. Mit Hilfe der Technik muss eine Lösung gefunden werden, 47 Teilnehmern eine gemeinsame Sitzung zu ermöglichen. Wir müssen alle lernen, neue Lösungen kreativ zu ersinnen.

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