EINE HANDVOLL HATTINGEN

Der Kirchplatz im Hattinger Stadtmodell (Foto: Pielorz)

Im Original wird es eine Größe von 1 mal 1,20 Meter haben – das Hattinger Stadtmodell, ausgegossen in Bronze, an dem die Holzbildhauermeisterin Anja Nessler arbeitet. Doch eine Handvoll Hattingen gibt es schon vorher – nämlich mit weißem Gießharz ausgegossen und in eine Hand passend. Hattingens Wohnzimmer im Kleinformat entsteht in einem ersten Guss bei der Verleihung des Hattinger Löwen am 5. November in der St. Georgs-Kirche.

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Die Gesamtansicht des Hattinger Stadtmodells (Foto: Pielorz)

Eine handwerklich-kreative Ader wurde Anja Nessler in die Wiege gelegt. Doch am Anfang sah es noch nicht so aus, als ob die Sprockhövelerin beruflich in die Kunst gehen würde. Nach dem Abitur studierte sie Biologie – doch sobald sie von der Uni nach Hause kam, arbeitete sie mit den Händen und erkannte: Die Wissenschaft von den Gesetzmäßigkeiten des Lebens von Menschen, Pflanzen und Tieren findet sie zwar schön, aber ihr fehlt die Hand-Arbeit. Sie schlägt eine andere Richtung ein: die Ausbildung als Holzbildhauerin in Herzebrock in der Nähe von Gütersloh schien das Richtige zu sein – ein Ausbildungsplatz, der einem nicht vor die Füße fällt, den man sich schon suchen muss. In dem kleinen Familienbetrieb gab es damals zwei Mädels als Auszubildende und nach der Lehrzeit wollte die eine unbedingt zu den Holzschnitzern nach Südtirol – allerdings nicht allein. Sie überredete Anja Nessler zum Mitkommen – zwei Jahre dauerte der Aufenthalt in Südtirol an der Landesfachschule für Holzbildhauer.

Die Künstlerin Anja Nessler stellt das Hattinger Stadtmodell her (Foto: Pielorz)

„Schnitzen und Skifahren – das war ein Paradies“, sagt Anja Nessler noch heute. Nach der Rückkehr ins beschauliche Sprockhövel stellte sich dann doch die Frage, was nun anzufangen war mit der gelernten Kunst. Denn das Schnitzen wollte hier nur schwer für den Broterwerb reichen. Doch wie das so ist im wahren Leben – man trifft zufällig auf Menschen, die einen manchmal in die passende Richtung schieben. Anja Nessler macht ein Praktikum beim WDR in der Plastikerwerkstatt. Die berufliche Reise nimmt Fahrt auf – sie arbeitet mit verschiedenen Materialien, entwirft Skulpturen und Landschaften für Fernsehsendungen. Mal eine Mondlandschaft, mal ein Geschenk für die Künstler der Fernsehsendung „7 Tage – 7 Köpfe“. Mal ein Pferd – aber auch Köpfe für Schaufensterpuppen von einem italienischen Auftraggeber, modelliert in Ton und mit Gips oder Gießharz ausgegossen. Sie lernt das Zweckentfremden von Materialien und kommt in der früheren Männerdomäne Bühnenbau an. „Für manche Männer sehr befremdlich – plötzlich stand da eine Frau mit einer Kettensäge“, lächelt sie. 27 Jahre alt ist sie zu diesem Zeitpunkt und arbeitet für sich selbst und ständig – unter Druck und mit der Angst, einen Auftrag nicht rechtzeitig abliefern zu können.

Das Meisterstück der Bildhauerin Anja Nessler (Foto: Pielorz)

Nach fünf Jahren wechselt sie in eine Festanstellung ans Theater nach Essen. Jeden Morgen pünktlich um 7 Uhr muss sie nun an der Arbeitsstelle sein. Auf Dauer lähmen die Gesetzmäßigkeiten des Lebens die kreative Schöpfungskraft. Anja Nessler wechselt zu den Wuppertaler Bühnen, arbeitet dort unter anderem mit an Bühnenbildern für Pina Bausch. Eine wunderbare Zeit, die leider durch den Rotstift im Stadtsäckel beendet wird. Stellenstreichen in Kunst und Kultur ist keine Seltenheit, trifft aber in diesem Fall unerwartet, denn Anja Nessler ist an den Bühnen die einzige Theaterplastikerin. Danach renoviert sie in ihrer schöpferischen Zwangspause erstmal ein Haus – sie ist eben keine Frau für lackierte Fingernägel. French art – ja bitte, French Design – nein danke.

Nachhaltige Ideen, Altes für sich neu entdecken, Upcycling, kreativ arbeiten und sozial engagiert – das sind die Eckpfeiler ihres Alltags. Ein Hang zu einer nichtaufgeregten Unaufgeräumtheit, ein Faible für Zweckentfremdetes. Warum soll aus einem Duschschlauch und einem Kolben keine Aufhängung für eine Lampe werden dürfen?

Köpfe im Atelier (Foto: Pielorz)

Dann meldet sich die Kunst zurück – falls sie denn überhaupt weg war. Das Brandenburger Tor will ein privater Kunde en miniature haben. Sie macht es. Durch den langjährigen Kontakt mit dem Künstler Stephan Marienfeld rückt dann plötzlich das Hattinger Wohnzimmer als Stadtmodell in ihr Leben. Enge verwinkelte Gassen, welche Höhe haben welche Häuser, wie lang und breit ist die Stadtmauer – ihre Streifzüge durch die Altstadt mit dem Maßband klären viele Fragen, werfen aber auch neue auf: Um detailgetreu zu arbeiten muss jede Form, jedes Haus, maßstabgetreu sein. Auch die Topographie im hügeligen Hattingen muss stimmen. Das ist nicht allein mit dem Abgehen der Gassen und den Akten des Bauamtes getan – das Maß aller Dinge muss anders gehen. Sie sucht nach dreidimensionalen Daten über Hattingen, wird zwar fündig, aber sie reichen für ihre Arbeit nicht aus. Also lässt sie sich die Daten von einem professionellen Unternehmen noch einmal neu dreidimensional zeichnen. Mit einem eigenen Drei D-Drucker entsteht aus dem Datensatz ein Prototyp für die weitere künstlerische Arbeit. Dreißig Einzelteile hat Anja Nessler hat gedruckt – der Druck von jedem Einzelteil dauerte zwischen 15 und 20 Stunden. „Jetzt beginnt die eigentliche bildhauerische Arbeit.

Anja Nessler kann auch Prominente (Foto: Pielorz)

Von dem gedruckten Objekt wird eine Negativform erstellt, die mit Modellierwachs ausgegossen wird. Dieses Wachspositiv wird per Hand individuell modelliert, so dass eine lebendige kleine Stadt entsteht. Jedes Detail wird liebevoll gearbeitet und beispielsweise durch Fenster, Türen und Vegetation ergänzt. Dann kommt das fertige Modell in die Bronzegießerei“, erzählt die Bildhauermeisterin, die mit dieser Arbeit drucktechnische Ergebnisse und handwerkliche Bildhauerkunst verbindet. Im nächsten Jahr, im Jahr der Ausrichtung des 37. Westfälischen Hansetages wird die alte Stahlstadt mit dieser Legierung aus Kupfer und Zinn gegossen – als gemeinsames Projekt der Hattinger Lions und Rotarier. Alte Mauern, in Bronze gehüllt.

Eine Handvoll Hattingen entsteht schon vorher und nicht als Bronzeguss – erstmalig am 5. November in St. Georg bei der feierlichen Vergabe des Hattinger Löwen.