ALS DIE HATTINGER SYNAGOGE BRANNTE

Gegen das Vergessen: In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannte auch in Hattingen die Synagoge. Zusammen mit Stadtarchivar Thomas Weiß schauen wir zurück auf diese Nacht.

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Der Pogromnacht, oft als spontaner Volkszorn dargestellt, ging in Wirklichkeit eine ganze Reihe organisierten Antisemitismus voraus. Dazu zählt insbesondere die Reaktion auf das von Herschel (Hermann) Feibel Grynszpan begangene Attentat am 7. November 1938 in Paris auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath. Grynszpan war als 14-Jähriger polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens im Jahr 1935 aus Deutschland nach Frankreich emigriert, weil es für ihn als Jude in Deutschland keine Zukunft gab. Anfang November 1938 erfuhr er durch eine Postkarte seiner Schwester, dass seine Eltern und seine Geschwister zusammen mit zehntausenden anderer Polen von den deutschen Behörden in einer Unrechtsaktion unter menschenunwürdigen Umständen in das Niemandsland zwischen Polen und Deutschland bei Zbąszyń (deutsch: Bentschen) zwangsdeportiert worden waren. Darüber war er so empört, dass er die Deutsche Botschaft in Paris aufsuchte und mit einem Revolver mehrere Schüsse auf den Botschaftsmitarbeiter vom Rath abgab, der zwei Tage später starb. Dem nationalsozialistischen Regime diente das als Vorwand, um unter dem Motiv der Rache schon lange beabsichtigte Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland durchzuführen. Ohne Einschreiten der Polizei wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 überall in Deutschland jüdische Einrichtungen geplündert, geschändet und in Brand gesetzt. Auch in Hattingen.Damals lebte dort eine jüdische Gemeinde mit etwa 120 Mitgliedern. Sie waren angesehene Bürger der Gesellschaft, betrieben Kaufhäuser oder andere Geschäfte, waren als Ärzte ansässig. Ihre Synagoge wurde von angeblich unbekannten Tätern in Brand gesteckt, die nie ermittelt wurden. Ein Unbekannter meldete den Brand der Polizei, die erstmal nachschaute, ob das der Wahrheit entsprach und erst danach die Feuerwehr alarmierte. Die kam, beschränkte sich aber im Wesentlichen darauf, dass der Brand nicht auf nebenstehende Häuser übergriff. Die Synagoge wurde nach dem Brand im Frühjahr 1939 abgerissen.

Doch in der Pogromnacht wurde nicht nur die Synagoge in Brand gesteckt. Jüdische Geschäfte – es gab etwa zehn von ihnen in Hattingen – wurden geplündert und geschändet. Auch die Zahnarztpraxis Markes war unter den Plünderungen – Zahnarztbesteck wurde später auf der Straße gefunden. Die Zeitung „Heimat am Mittag“ schrieb am Tag darauf in ihrer Ausgabe, es sei kein jüdisches Geschäft verschont geblieben und die Juden könnten daran erkennen, wie verhasst sie den Deutschen wären. Frühmorgens wurden die jüdischen Männer abgeholt und in „Schutzhaft“ genommen.

Bis Ende 1938 waren alle jüdischen Geschäfte in Hattingen verkauft. Auch das von Karl Cahn. 1938 verkauft Karl Cahn „in vollkommen freier Übereinstimmung“ die „Rind- und Schweine-Metzgerei mit elektrischem Betrieb N. Kahn“ an der Bruchstraße 5/Wasserstraße 2 (bis zum Abriss 1974 als „Metzgerei Heinz Schlauch“ Große Weilstraße 35) an den Hattinger Metzger Wilhelm „Willi“ Stratmann. In einem ersten notariell beglaubigten Kaufvertrag vom 16. Juli 1938 einigen sich Stratmann und Cahn auf eine Verkaufssumme von 26.000 Reichsmark für Haus und Grund plus 2.500 Reichsmark für das Inventar. Doch am 19. Oktober 1938 wird der Kaufvertrag nach unten korrigiert: Cahn soll jetzt nur noch 18.000 Reichsmarkt für Haus und Grund erhalten, da man die Immobilie auf Grund von Alter und Lage zwischenzeitlich abgewertet hatte. Abzüglich einer Resthypothek von 8.460 Reichsmark zahlt Wilhelm Stratmann letztlich 12.040 Reichsmark auf das Konto von Carl Cahn bei der Sparkasse Hattingen ein und übernimmt das Geschäft zum 1. November 1938. Damit ist die „Entjudung“ dieses, 1856 am Haldenplatz von Cahns Großvater Salomon Schmidt gegründeten jüdischen Hattinger Traditionsgeschäftes, endgültig vollzogen – wie Lars Friedrich, Vorsitzender des Heimatvereines, schreibt. Frei verfügen konnten die Juden über das Geld aus den Verkäufen übrigens nicht. Diejenigen, die konnten, verließen Deutschland. 1942 begannen die Deportationen der Hattinger Juden – überlebt hat niemand von ihnen.

Die Stadt Hattingen richtet mit vielen Akteuren vom 9. bis 17. November unter dem Titel „Hattingen hat Haltung!“ eine Gedenk- und Aktionswoche für Toleranz und Demokratie – gegen das Vergessen aus. Eine Kranzniederlegung am Synagogenplatz findet am Samstag, 9. November, 17.50 Uhr, statt.

Eine Geschichte aus der „Historischen Serie“ der IMAGE Magazine Hattingen.