JAHRESEMPFANG DER IHK 2018: APPELLE, LOB UND RATSCHLÄGE

Bochum/Hattingen – Bunte Luftballons, die wie ein Neujahrs-Feuerwerk den „Himmel“ des Bochumer Schauspielhauses erfüllten; zwei Moderatoren, die schon vor ihrem Auftritt aus dem „Off“ der Bühne für Staunen bei den Gästen sorgten; und vier Talkgäste, die an vielen Stellen der Diskussion einen tiefen Blick in ihr persönliches Ich zuließen: Rund 600 Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Verwaltung erlebten am Freitag, 2. Februar, den traditionellen Jahresempfang der IHK Mittleres Ruhrgebiet alles andere als traditionell. Und hatten dabei sichtlich Vergnügen …
Dies lag nicht zuletzt an Christina Philipps, Geschäftsführerin der Johann-Philipps Verwaltungs-GmbH, Bochum; Anja Graf, Prokuristin der Anton Graf GmbH, Herne; Prof. Dr. Tom A. Rüsen, Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen; und IHK-Präsident Wilfried NeuhausGalladé, Geschäftsführer der J.D. Neuhaus GmbH & Co. KG, Witten, die unter der Moderation der beiden IHK-Kompetenzfeldmanager Kerstin Groß und Stefan Postert Antworten auf die Frage suchten und fanden, wie die Nachfolge in einem Familienunternehmen organisiert werden sollte, damit weder Unternehmen noch Familie Schaden erleiden.

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IHK-Präsident Wilfried Neuhaus-Galladé bei seiner Rede (Foto: PicturePeople)

IHK-Präsident Wilfried Neuhaus-Galladé bei seiner Rede (Foto: PicturePeople)

Die Fakten: Ein Drittel der nordrhein-westfälischen Familienunternehmer ist älter als 55 Jahre – und muss sich deshalb über die Unternehmensnachfolge Gedanken machen. Gibt es Kinder, die Lust und Fähigkeit besitzen, das Unternehmen zu führen? Ist das Unternehmen so aufgestellt, dass auch die nächste Generation wirtschaftlich erfolgreich sein kann? Wie findet man einen geeigneten Nachfolger, wenn die Familientradition nicht fortgeführt werden kann? Und so brennend (und existenziell)  die Fragen auch sind – ein Großteil der Unternehmer beschäftigt sich erst damit, wenn die Übergabe unmittelbar bevor steht. Und deshalb häufig scheitert …
Ein „gut aufgestelltes Unternehmen“, so die Erfahrung Rüsens, „findet in der Regel einen Nachfolger“. Allerdings: Dies bedeute nicht zwangsläufig, dass eine Übernahme in der Familie gelinge. Denn die große Herausforderung in einem Familienunternehmen bestehe darin, zwischen Unternehmen und Familie zu unterscheiden. „Ein Familienunternehmen ist zunächst ein Unternehmen und muss so agieren. Eine Familie tickt anders.“ Meint: In der Logik einer Familie ist Gerechtigkeit gegenüber den Kindern das oberste Gebot. In der Logik des Unternehmens ist allein entscheidend, wer am besten geeignet ist, das Unternehmen zu führen. Rüsen: „Viele Unternehmensübergaben scheitern wegen des Ärgers in der Familie.“
Bei Neuhaus-Galladé (60), in siebter Generation Chef des 1745 gegründeten Familienunternehmens, steht die Frage der Nachfolge seit längerem im Fokus. Zwei Prämissen habe er sich gesetzt: Es sei sein höchster Antrieb, „dieses Unternehmen für die Familie zu erhalten“. Und: „Ich will nicht, dass über die Nachfolge die Familie auseinanderbricht.“ Eine doppelte Verantwortung – Beifall im Saal. Und dennoch – oder gerade deshalb – müsse auch bei J.D. Neuhaus die „Nachfolge nach der Logik des Unternehmens und nicht nach der Logik der Familie“ erfolgen. Eine „Familien-Verfassung“ solle dafür sorgen, dass alle gesetzten Ziele erreicht werden könnten. Sein grundsätzlicher Rat: früh damit zu beginnen, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen.

Kinder als Nachfolger nicht zwingend die beste Lösung

Christina Philipps, seit zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder in unternehmerischer Verantwortung, kam aus der gegensätzlichen Perspektive als Nachfolgerin zum gleichenRatschlag: „Man muss ja nicht nur wollen. Man muss ja auch können.“ Meint: Ein Unternehmen zu übergeben, verlangt einen realistischen und keinen emotionalen Blick auf die potenziellen Nachfolger. Im eigenen Unternehmen habe sie gelernt, dass es sinnvoll sei, wenn „Senioren und Junioren“ eine gewisse Zeit „gemeinsam in Verantwortung sind“. Die Erfahrung des SeniorChefs sei wichtig, aber ebenso sein „Mut“ unverzichtbar, die „Frische der Jugend“ zuzulassen. Also: Neues auszuprobieren.
Für den, der sein Unternehmen in neue Hände lege, sei die Übergabe immer „ein emotionales Thema“. Dafür müssten die Nachfolger Verständnis haben. Mut – das war das Stichwort für Anja Graf. Unternehmer zu sein, verlange Mut – „auch den Mut zu scheitern“. In einem Familienunternehmen – dies sei anders als in jedem Konzern – gebe es „offene Türen“, man fälle „schnelle Entscheidungen“. Beides sei auch extrem wichtig für die Mitarbeiter. Dies alles könne man nur leisten, wenn man „mit Herzblut“ Unternehmer sei.
Denn – und das machte Wissenschaftler Rüsen klar – ein „Unternehmer-Gen“ gebe es nicht. Erfolgreicher Unternehmer sein zu können, sei entscheidend eine Frage „der Haltung“. Und hinter dem Begriff Haltung stecken die Schlagworte des Abends: Herzblut, Mut, Verantwortung. Der Applaus zeigte, dass Talkgäste und Moderatoren durch ihre Offenheit den Nerv der Gäste getroffen hatten.
IHK-Präsident Wilfried Neuhaus-Galladé hatte zuvor seine Rede zu vielfältigen Appellen genutzt: Sein dringlichster Appell an die Unternehmen der Region: „Bilden Sie aus. Investieren Sie in Ihren Nachwuchs. Helfen Sie den jungen Menschen, ihre Defizite abzubauen. Geben Sie ihnen eine Chance.“Es helfe nichts, über angebliche Defizite der Schulabgänger zu lamentieren. Es helfe auch nichts, darüber zu lamentieren, dass man Ausbildungsplätze anbiete, aber niemand sie wolle. „Haben wir denn bei den Schülern für uns geworben? Haben wir ihnen denn gesagt, wie attraktiv unsere Jobs sind und welche AufstiegsChancen sie haben? Sind wir denn bereit, den Bewerbern mit den großen Defiziten zu helfen? Wir müssen dies alles tun. Für die Zukunft unserer Unternehmen“, so der Präsident.

Städte oft auf gutem Weg

Die Talkrunde (v. l.): Christina Philipps, Kerstin Groß, Prof. Dr. Tom A. Rüsen, Wilfried Neuhaus-Galladé, Anja Graf, Stefan Postert (Foto: PicturePeople)

Die Talkrunde (v. l.): Christina Philipps, Kerstin Groß, Prof. Dr. Tom A. Rüsen, Wilfried Neuhaus-Galladé, Anja Graf, Stefan Postert (Foto: PicturePeople)

Ebenso sei es wichtig, viel stärker mit den Hochschulen der Region zu kooperieren. Es gelinge immer noch nicht, das „Gros der erfolgreichen Absolventen in der Region zu halten“. Es gehe darum, in den Hochschulen „für uns, für unsere Betriebe, für unsere guten Arbeitsplätze und die Karrieren, die wir ermöglichen“ zu werben. Ohne mehr Ausbildung und ohne das Werben um den akademischen Nachwuchs „gehen uns die Fachkräfte“ aus. Vor diesem Hintergrund lobte Neuhaus- Galladé das Sprach- und Qualifizierungszentrum für Zugewanderte (quaz.ruhr), das im Herbst letzten Jahres seine Arbeit in der früheren OpelLehrwerkstatt in Langendreer aufgenommen hat und in den nächsten drei Jahren etwa 1500 Zugewanderte fit für einen Job oder eine Ausbildung machen will. „Das kann langfristig in vielen Fällen die bereits skizzierte Fachkräfteproblematik der Unternehmen mildern – es wird aber auf jeden Fall die Chancen zur Integration und auf ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft erhöhen. Und dies ist jede Mühe wert.“
Die Städte des Kammerbezirks seien auf einem guten Weg, so der IHK-Präsident. In Bochum werde auf Mark 51°7 – dem ehemaligen Opel-Werk 1 – ein „Leuchtturm“ gebaut, der weit ausstrahlen werde; Herne vermarkte sich konsequent und erfolgreich alsLogistikstandort der Region; und in Witten zeichne sich endlich die Chance ab, zusätzliche Gewerbeflächen für die Neuansiedlung oder Expansion von Unternehmen anzubieten.
Lob gab es am Ende vom Präsidenten auch für die IHK selbst: Sie habe sich vor etwa zwei Jahren auf den Weg gemacht, „alte Strukturen zu überwinden, aus dem Trott der Gewohnheit auszubrechen, sich für neue Ideen zu öffnen“. Wenn sich im Rahmen der vierten industriellen Revolution die Welt ein weiteres Mal verändere, müsse dies auch eine IHK tun. „Den Kopf in den Sand zu stecken, geht nicht. Wer sich nicht auf diese modernen Zeiten einlässt, wird bald Teil der Geschichte sein. Der Satz gilt für Menschen, der Satz gilt für Unternehmen. Der Satz gilt für Institutionen. Er gilt eben auch für eine IHK“, so Neuhaus-Galladé.
Und weiter: „Wir, die Unternehmerinnen und Unternehmer, haben ein großes Interesse daran, dass es eine Institution gibt, die für uns die Stimme erhebt, die für uns Informationen sammelt, die für uns Trends der Zukunft ausmacht, die für uns neue Konzeptionen erarbeitet, die uns konkrete Ratschläge geben kann. Aber das kann die IHK alles nur, wenn sie selbst so modern ist, wie die Welt um sie herum. Oder im Idealfall: sogar noch moderner. Also Taktgeber der Zukunft.“